Interview mit Büchergilde-Geschäftsführer Alexander Elspas (Teil 1)

Seit über zehn Jahren bin ich bereits Mitglied der Büchergilde, seit Ende 2021 Büchergilde-Genossin. Schon immer hat mich auch der Blick hinter die Kulissen interessiert – neben den wundervollen Buchausgaben. Das letzte große Interview führte ich mit dem ehemaligen Büchergilde-Geschäftsführer Mario Früh und erfuhr viel über die Geschichte der Buchgemeinschaft. Dieses veröffentlichte ich damals in zwei Teilen: Teil 1 und Teil 2. Jahre später saß ich erneut bei der Büchergilde und sprach mit Alexander Elspas, dem heutigen Geschäftsführer, über die aktuelle Situation der Genossenschaft.

Vera Lejsek und Büchergilde-Geschäftsführer Alexander Elspas in den Räumen der Büchergilde ©glasperlenspiel13

Vera Lejsek: Im Jahr 2014 war ich das letzte Mal bei der Büchergilde zu Gast und habe mit Mario Früh, dem damaligen Geschäftsführer, gesprochen. Was ist denn seitdem alles passiert?

Alexander Elspas: Einiges. Aber das wichtigste Datum war die Gründung der Büchergilde Gutenberg Verlagsgenossenschaft im Jahr 2014.

Die Büchergilde hat im Prinzip seit ihrer Gründung und durch die Jahre hinweg mit der (finanziellen) Sicherung ihrer Existenz zu kämpfen. Man denke dabei an den sogenannten Management Buy-Out 1998 durch fünf Kolleginnen und Kollegen, die damals die Büchergilde von der Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften AG (BGAG) übernommen hatten und ab diesem Zeitpunkt als GmbH weiterführten. Das waren sicherlich mit die schwierigsten Jahre: zu schauen, wie man das Ganze stabilisiert bekommt. Man hat die Büchergilde in den Folgejahren mit sehr viel Kreativität und Ideenreichtum gestaltet, gerade wenn es um die Finanzierung des Unternehmens ging. Einige dieser Ideen begleiten uns noch heute.

Mit der Gründung der Verlagsgenossenschaft wurde der Büchergilde dann entscheidend der Rücken gestärkt. Es gibt heute 1.605 Genossinnen und Genossen, die diese Büchergilde sozusagen tragen. Gerade jetzt, wo die Kosten an allen Ecken und Enden explodieren, ist das enorm wichtig. Wir sind nun in einer Position, aus der wir wieder anders agieren können. Wir haben die Möglichkeit, Gespräche zu führen, auf potenzielle Partner zuzugehen, Kooperationen und Allianzen zu schmieden, die für uns und unsere Weiterentwicklung ganz wichtig sind.

Vera Lejsek: Eine Veränderung fällt mir noch auf: Für das letzte Interview war ich in den Büros in der Nähe vom Frankfurter Hauptbahnhof. Heute treffen wir uns in einem Büro in der Innenstadt. Da gab es doch einen großen Umzug …

Alexander Elspas: Die alten Büroräume würde ich euphemistisch mit „Shabby Chic“ umschreiben. Es waren zwei, etwas in die Tage gekommene, zusammengelegte Altbauetagenwohnungen und nicht unbedingt das, was man heute als State of the Art in Sachen Kommunikation und Zusammenarbeit bezeichnen würde. Der Umzug war still und leise, weil wir in nur einem Jahr ohne große externe Unterstützung umgezogen sind. Wir haben das allein gemacht, auch im Hinblick auf die Kosten.

Für uns waren die neuen Räume in der Braubachstraße nahe dem Römer ein Quantensprung. Wir befinden uns nun im Haus des Buches, also im Hot Spot der Branche. Daraus ergeben sich eine ganze Reihe zufälliger und gewollter Begegnungen und Kontakte, weil unter diesem Dach nicht nur der Börsenverein, sondern auch die Frankfurter Buchmesse, Litprom e.V. und andere Einrichtungen der Buchbranche arbeiten und wirken. Es war und ist eine spannende Herausforderung, wie das mit den Kolleginnen und Kollegen in diesem neuen Open Space funktioniert. Das Ganze hat jetzt viel mehr einen Redaktions- und Verlagscharakter, als es in der Stuttgarter Straße möglich war. Aber ich kann sagen, dass wir alle hier sehr zufrieden sind.

Vera Lejsek: Das Buch-Archiv der Büchergilde wurde im Hotel Nizza in Frankfurt eingelagert wurde. Wie kam es denn dazu?

Alexander Elspas: Das lag schlicht an meinem Wunsch, beim Zubettgehen die Gesamtheit der schönen Büchergilde-Bücher sicher unter mir zu wissen. (lacht) Denn ich bin, wie das neudeutsch heißt, ein „Dimido“: Ich komme Dienstagmorgen her und fahre Donnerstagabend wieder weg. Und die zwei Nächte, die ich in Frankfurt bin, verbringe ich im Hotel Nizza. Tatsächlich ist es aber so: Es gibt in der Brauchbachstraße keine großen Lagerräume und das Hotel Nizza hat einen mehrgeschossigen Luftschutzkeller und somit Räumlichkeiten, die leer stehen, aber trocken sind. Wir trafen also eine Vereinbarung und so ist das Archiv jetzt dort sicher verwahrt.

Vera Lejsek: Sie sind seit 2017 bei der Büchergilde und sagten damals, dass Sie die Büchergilde für noch mehr Mitglieder und Genossinnen & Genossen attraktiver gestalten wollen. Wie ist Ihnen das denn in den letzten Jahren gelungen?

Alexander Elspas: Zu Beginn meiner Tätigkeit ist mir oft die Frage begegnet: Gibt es die Büchergilde noch? Es ging also zunächst ganz klar um Sichtbarkeit. Hier hat sich einiges getan, wir haben unsere Präsenz auf allen möglichen Kanälen, auf Social Media usw., verstärkt und aktiv Kontakte geknüpft, um auf die Existenz dieser einzigen literarischen Buchgemeinschaft in Deutschland aufmerksam zu machen.

Für die Branchenpresse und (über-)regionale Medien schufen wir Anreize, über diesen Buchclub zu berichten. Mit verschiedenen Gegengeschäften haben wir auf uns aufmerksam gemacht. Wir hatten mehrmals ganzseitige Anzeigen in der FAZ und der Süddeutschen Zeitung, wo wir für die Genossenschaft geworben haben. Genau zur richtigen Zeit, denn das Modell der Genossenschaft ist in den letzten Jahren wieder salonfähig geworden. Zur Medienarbeit gehört auch, dass ich ins Radio gegangen bin. Es geht ein Stück weit darum, mich in meiner Funktion zu vermarkten. Das ist, denke ich, ganz wichtig.

Unser eigenes und wichtigstes Medium, das Büchergilde-Magazin, erfuhr ebenfalls einige Veränderungen. Als ich angefangen habe, hieß es einfach nur „Magazin“. Ich war dann so frei, im Sinne der Markenstärkung, auf das Cover „Büchergilde“ zu schreiben. Zudem arbeiten wir kontinuierlich daran, die Anzahl der Buchhandlungen, in denen man den Büchergilde-Büchern begegnen kann, zu erhöhen. Und jetzt stehen wir tatsächlich bei einer Zahl von über 100 Partnerbuchhandlungen im DACH-Raum.

Und mit das Wichtigste war und ist, unser Programm inhaltlich weiterzuentwickeln. Also genau zu schauen, was für Bücher wählen wir aus, welche Bücher gestalten wir wie in besonderer Form und wie können wir am besten auch eine jüngere Zielgruppe erreichen? Wir haben schon verschiedene Ansätze umgesetzt, beispielsweise den Relaunch der Reihe Edition Zeitkritik, die Kooperation mit Litprom e.V. und der Reihe Büchergilde Weltempfänger. Das besondere Augenmerk liegt auch auf dem Kinderbuch, womit wir die kleinen Menschen fürs Lesen begeistern wollen.

Damit einhergehend veränderte sich auch das Büchergilde-Team. Denn wir haben uns immer auch unserer sozialen Verantwortung gestellt. Es gab bisher keine Verschlankung der Belegschaft, eher im Gegenteil. Mit denjenigen, die im Lauf der Jahre dazugekommen sind, haben wir ein Auge darauf, dass wir uns diverser und breiter aufstellen. Mit diesen Kolleginnen und Kollegen ist es möglich, inhaltlich Dinge zu realisieren, die den Erfahrungsreichtum der „Generation Ü50“ um wichtige Blickwinkel und Aspekte erweitern.

Vera Lejsek: Die Büchergilde verfolgte mit ihrer Gründung den Anspruch, den Zugang zu Literatur für diejenigen zu ermöglichen, die nicht die finanziellen Mittel und/oder den entsprechenden Bildungshintergrund dazu haben. Ich bin mir sicher, dass sich auch heute viele Familien ein Quartalsbuch nicht leisten können. Wie wird man also dem Gründungsgedanken heute noch gerecht?

Alexander Elspas: Diesen Ansatz leben wir bereits dadurch, dass unsere Ausgaben günstiger sind als die Hardcover-Ausgaben der Original-Verlage. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wir engagieren uns im Bereich Kinderbuch, um gerade Familien einmal im Vierteljahr erschwingliche Literatur anzubieten. Zuletzt erschien Das große Büchergilde Gedichtbuch, bei dessen Preisgestaltung dieser Aspekt mitgedacht wurde.

Und so kurz vor unserem 100. Jubiläum im Jahr 2024 beschäftigt uns diese Frage auch noch einmal besonders. Für die Planung der Festlichkeiten habe ich eine Vorgabe gegeben: Wir wollen das Jubiläum konzeptionell im Geiste unserer Gründer denken und konzipieren, das heißt, das gute Buch „bildungsferneren Schichten“ näherzubringen.

So möchten wir für das Jubiläumsprogramm Titel auswählen, die sehr populär sind und mit denen man ein breiteres Publikum erreicht als mit dem doch literarisch anspruchsvollen Programm, für das wir bekannt sind. Wir sind dabei, mit den Jubiläumstiteln Veranstaltungen in Betrieben zu organisieren. Dazu befinden wir uns mit ThyssenKrupp und Volkswagen im Gespräch. Denn mit diesen Inhalten und Events wollen wir dahin, wo diejenigen sind, nach denen Sie gerade gefragt haben. Das ist mir wesentlich wichtiger als uns selbst, irgendwo in irgendwelchen Festsälen, gegenseitig auf die Schulter zu klopfen und uns zu sagen, wie toll wir sind.

Im zweiten Teil des Interviews sprechen wir über das Konstrukt Genossenschaft und über das kommende Jubiläum. 2024 wird die Büchergilde 100 Jahre.

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