Im Gespräch mit Mario Früh – Geschäftsführer der Büchergilde Gutenberg (Part I)

Erst vor kurzem kündigte ich ein besonderes Special für 2014 auf glasperlenspiel13 an: Die Büchergilde feiert ihr 90jähriges Jubiläum. Für mich ein schöner Anlass mich noch mehr als bisher mit der Buchgemeinschaft auseinandersetzen. Und so habe ich gleich zu Beginn mit Mario Früh, dem Geschäftsführer der Büchergilde Gutenberg, gesprochen. Den ersten Teil des Interviews möchte ich Euch heute ans Herz legen.

Die Büchergilde wird 90 – also eine feste Instanz in der deutschen/schweizerischen Literaturlandschaft. Trotzdem kennen viele Deutsche die Büchergilde nicht. Können Sie für meine Leser ganz kurz umreißen was die Buchgemeinschaft (Büchergilde Gutenberg) und der Verlag (Edition Büchergilde) ausmachen? 

Mario Früh Geschäftsführer der Büchergilde Gutenberg

Mario Früh: Das erste was sie gesagt haben, verwundert mich nicht. Die Buchgemeinschaft leidet tatsächlich unter einer gewissen Unbekanntheit. Und ich lege dabei Wert auf den Begriff Buchgemeinschaft – oft wird ja von einem Buchclub gesprochen. Im Gründungsjahr 1924 war die Idee hinter dieser Gemeinschaft Literatur auch in die eher armen Arbeiterhaushalte zu bringen. Diese Initiative ging von Leipziger Buchdruckern aus, die schließlich die Buchgemeinschaft gründeten. Das erste Buch war eine illustrierte Anthologie von Mark Twain.
Als ich zur Büchergilde kam, dachte ich damals eher an Fontane oder einen anderen Klassiker. Aber schon in der Anfangszeit entdeckte die Büchergilde Autoren wie z.Bsp. B.Traven. Diese besondere Titelauswahl zeigt schon die Weltoffenheit und die Unabhängigkeit der Buchgemeinschaft. Auch wenn es seit kurzem den Verlag Edition Büchergilde gibt, besteht der Geschäftskern aber weiterhin in den Lizenzausgaben für die Büchergilde Gutenberg. Dafür kauft die Buchgemeinschaft Lizenzen von Originalverlagen und stattet diese Bücher aber anders aus. Eine andere Ästhetik und Haptik stehen dabei im Vordergrund. Ein Buch muss sich gut in der Hand anfühlen und ein Genuss für das Auge sein. Insofern gestaltet die Büchergilde die eingekauften Bücher qualitativ hochwertiger. Dafür bekommen wir von den Autoren, die ja auch die Belegexemplare erhalten, viel Lob genauso wie auch von den Verlagen selbst. So präsentierte T.C. Boyle auf seiner Website die Ausgabe der Büchergilde anstelle des Originals vom Hanser Verlag.

Ist es besonders schwer diese Lizenzen zu erhalten? 

Mario Früh: Die Verlage sind uns gegenüber sehr positiv eingestellt. Es kommt auch auf die Größe des Verlags an. Die Kleineren profitieren natürlich von einem Lizenzeinkauf. Die Größeren zwar auch, aber nicht im gleichen Maße. Was die Programmauswahl betrifft, richten wir uns nicht nach den Bestseller-Listen, sondern nach dem, was wir für wichtig erachten. Natürlich haben wir auch Unterhaltungsliteratur und Krimis aber alles auf einem bestimmten Niveau. Alles andere könnten wir uns auch nicht leisten, da unsere Mitglieder eben einen gewissen Anspruch haben. Wenn die Büchergilde Rosamunde Pilcher in Lizenz nehmen und es vielleicht noch in Silber einschlagen würde, würde das einfach nicht funktionieren. Es gibt eine psychologische Realität – wie bei jeder Firma – was die Erwartungshaltung der Kunden angeht.

Wie sieht es mit der Eigenproduktion von Büchern in der Edition Büchergilde aus?

Mario Früh: Nach dem Management-buy out haben wir zunehmend verwertbare Manuskriptangebote bekommen. Der Gedanke hinter der Eigenedition war auch, dass diese in den Feuilletons rezensiert werden. Bei Eigenproduktionen machen wir immer zwei Ausgaben. Eine für den Buchhandel, also für den freien Markt, um rezensiert zu werden und den Bekanntheitsgrad zu erhöhen und eine für die Buchgemeinschaft. Beide Ausgaben müssen sich aber unterscheiden. Das Potsdamer Abkommen regelt die Rahmenbedingungen für die Buchgemeinschaftsausgaben. So gibt es eine bestimmte Zeitspanne, die eingehalten werden muss, bevor wir mit der Büchergildenausgabe erscheinen dürfen. Jetzt ist es so, dass wir nach der Herbstproduktion der Originalverlage schon im Januar mit unserer Ausgabe erscheinen können. Bei der Frühjahrsproduktion dauert es etwas länger, ca. ein halbes Jahr. Des Weiteren wird im Abkommen der Preisvorteil festgelegt. Der liegt bei uns 18-20 Prozent unter dem Originalpreis. Außerdem müssen wir der Verpflichtung nachkommen, dass wir die Bücher für die Buchgemeinschaft anders ausstatten. So muss sich beispielsweise der Umschlag unterscheiden.

Im neuen Frühjahrsprogramm fungieren Sie selbst als Herausgeber von „Meine Kühe können fliegen. Kurze Geschichten zum Weitererzählen“ Wie kam es dazu? 

Mario Früh: Das Buch ist im Zuge des Jubiläums entstanden. Es werden Geschichten versammelt, die sich mit unterschiedlichen Themen beschäftigen. Zum Beispiel der Arbeitswelt, der Fantasie, dem Buch oder auch mit der Sprache. Da wäre die Geschichte von Mark Twain „Schrecken der deutschen Sprache“ zu nennen. Er war ja damals auch in Deutschland und beschreibt in dem Text amüsant seine Meinung zur komplizierten deutschen Sprache. Es sind teilweise kleine Absurditäten, mir geht es auch um ein Augenzwinkern. Der Titel selbst bezieht sich auf die Fantasie von Kindern.

Leseförderung ist für Sie ein ebenso wichtiges Thema. 2011 wurde auf Initiative der Büchergilde der Förderverein „Die Welt des Lesens e.V.“ gegründet. Wie entstand diese Idee und was ist in letzten drei Jahren geschehen? 

Mario Früh: Von der Idee her ist der Bildungsgedanke nie verloren gegangen. Wenn wir uns die heutige Gesellschaft anschauen haben wir allerhand Probleme und Missstände was das Thema Bildung betrifft. Wir wollen nicht pädagogisch daherkommen, es geht um kulturelle Bildung und kulturelles Miteinander. Aus diesem Grund betreiben wir seit ein paar Jahren den Verein „Welt des Lesens e.V.“. Wir arbeiten projektweise mit Schulen zusammen. Diese müssen dafür ein Konzept einreichen, was dann von der Büchergilde umgesetzt wird. Finanziert wird das durch die Gemeinschaft, durch die Mitglieder. Ein schönes Beispiel: Kinder mit Migrantenhintergrund an einer Schule in Mannheim hatten noch nie ein eigenes Buch. Eigentlich unvorstellbar aber es war so. Die wurden von uns mit Büchern unterstützt. Natürlich kam auch von uns die Frage an die Direktorin, wie denn solche Zustände zustande kämen. Man könne ja auch in der Bibliothek Bücher ausleihen. Als Antwort bekamen wir, dass die Eltern Angst hätten, dass ihre Kinder die Bücher beschädigen würden und sie diese dann bezahlen müssten. Ein anderes Beispiel ist die Geschichte von einer Lehrerin, die als Einzige mit ihren Schulkindern in die Bibliothek gegangen ist. Jedes Kind konnte sich ein Buch seiner Wahl aussuchen und sollte es drei Wochen später in der Schule präsentieren. Da die Kinder es nur ausgeliehen hatten, mussten sie das Buch natürlich leider auch wieder abgeben. Daher hatte ich die Idee, dass sich jedes Kind ein Buch aus dem Büchergilde-Katalog aussuchen darf. Als dann die Bücherliste kam, war ich positiv überrascht, was sich die Kinder alles gewünscht hatten. Da ging es wirklich um Qualität. Das war irre. Als Dankeschön habe ich aus der Schulimkerei ein Glas Honig bekommen. Eine tolle Überraschung.

Stichwort Buchgestaltung. Nicht ohne Grund wurden über 150 Büchergilde-Bücher bisher prämiert. Die Büchergilde engagiert sich mit einem ganz speziellen Gestalterpreis auf diesem Gebiet – wie ich finde mit einer originellen Idee. Können Sie uns diese kurz skizzieren? 

Mario Früh: Ja, das ist relativ einfach. Mir kam der Gedanke in Bezug auf Nachwuchsförderung. Wir nehmen einen Text, den wir illustriert haben wollen und vergeben das Projekt an eine ausgewählte Fachhochschule. Die Teilnehmer sind dann meist schon in den letzten Semestern und werden von einem Professor betreut. Eine unabhängige Jury darunter unsere Herstellungsleiterin, Mitarbeiter von Zeitungen und Verlagen, sowie Künstler, b3a80-91n2kpvzsl-_sl1500_bestimmen dann die Gewinner. Das erste Buch wurde 2002 prämiert und die Gewinnerin kam aus Leipzig. Das vergesse ich nie, weil wir ganz bewusst die FH Leipzig ausgewählt hatten. Der Titel war „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury und wurde nicht nur von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet, sondern erhielt ebenso den Preis als eines der „Schönsten Bücher aus aller Welt“. Für die Gewinner ist das die einmalige Chance nach dem Studium ein komplettes Buch vorzuweisen. Wir machen das alle zwei Jahre. In diesem Jahr mit der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und „Professor Unrat“ von Heinrich Mann. Wir selbst wählen die Hochschule aus und haben auch schon mit Luzern und Hamburg zusammengearbeitet. Die Büchergilde ist für Buchillustratoren in Deutschland eine Art Ritterschlag. Wir bekommen wahnsinnig viele Anfragen. Ich glaube, wir haben da einen ganz guten Ruf an den Hochschulen.

Im zweiten Teil des Interviews erfahrt Ihr, wie sich die Büchergilde in der modernen Welt behauptet und warum man heutzutage noch einer Buchgemeinschaft beitreten sollte.

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9 Kommentare

  1. Liebe caterina,

    mir ging es vor ein paar Jahren ähnlich wie Dir. Wir sind mit der Büchergilde eben nicht groß geworden. In der DDR gab es leider keinen Ableger. Die Büchergilde-Buchhandlung um die Ecke solltest du unbedingt aufsuchen. Die hat auch sonst ein gutes Angebot. Ende Mai wird es dort eine Woche lang Veranstaltungen rund um die Büchergilde geben. Ich war erst heute wieder ihm einem Laden und habe viele interessante Neuerscheinungen entdeckt.

    Teil 2 folgt :)

    Alles Liebe zurück von der Bücherliebhaberin

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  2. Liebe Bücherliebhaberin,
    ich habe es erst jetzt geschafft, dieses spannende Interview zu lesen, aber lieber spät als nie, um mal eine Floskel zu bemühen.

    Ich bin eine derjenigen, die keine Vorstellung davon hatten, was die Büchergilde eigentlich macht. Bis vor kurzem zumindest – seit ich bewusst die Verlagsvorschauen durchblättere, eben auch den Katalog der Buchgemeinschaft, hat sich das zum Glück geändert, und ich staune über die Schönheit der Bücher, die sorgfältige Auswahl. Und das sage ich, obwohl ich bis heute noch kein Buch der Büchergilde in der Händen gehalten habe, geschweige denn in einem ihrer Läden war. Ich habe aber fest vor, das ganz bald zu ändern, hier in der Nähe gibt es ja eine Filiale…

    Danke jedenfalls für diesen tollen Einblick, und ich bin gespannt auf Teil 2.

    Alles Liebe,
    caterina

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