Im Gespräch mit Mario Früh – Geschäftsführer der Büchergilde Gutenberg (Part II)

Im Rahmen meines Specials 90 Jahre Büchergilde erscheint heute nun der 2. Teil des Interviews mit Geschäftsführer Mario Früh. Teil 1 erschien bereits vor einigen Wochen.

90 Jahre sind ein Grund zum Feiern. Wie begeht die Büchergilde dieses Jubiläum bzw. was für Aktivitäten/Veranstaltungen wird es geben?

Momentan sind wir noch am Planen. Es gibt aber auch schon jetzt ein besonderes Angebot für die Buchgemeinschaft. Ich nenne es „Hinter die Kulissen schauen“. Das heißt, dass die Mitglieder die Möglichkeit haben sich für Besuche in den Druckereien, Bindereien und bei der Büchergilde selbst anzumelden. Immer nur ein Festakt, das war der Büchergilde im Sinne der Gemeinschaft zu wenig. Einiges kommt aber noch, wie zum Beispiel eine Jubiläumsbroschüre.

Die Büchergilde hat sich von Anfang an neben inhaltlicher Qualität vor allem eine gute Buchgestaltung auf die Fahne geschrieben. In der Satzung des Gründungsjahres 1924 steht „inhaltlich gute Bücher in technisch vollendeter Ausführung und nicht alltäglicher Ausstattung zugänglich zu machen.“ Was war/ist das Besondere an einem Buch der Büchergilde damals und heute?

Morgenstern Galgenlieder_hans tischa
Christian Morgenstern „Alle Galgenlieder“ illustriert von Hans Tischa

Es hat sich eigentlich nicht viel verändert. Die Büchergilde legt immer noch sehr viel Wert auf die Ausstattung: Leinenbände, entsprechendes Vor- und Nachsatzpapier, eine besondere Typografie – um nur einige Beispiele zu nennen. Bei den illustrierten Büchern achten wir besonders darauf. Aktuelles Beispiel ist der Band von Christian Morgenstern: „Alle Galgenlieder“, illustriert von Hans Ticha.

Eine Büchergildeausgabe soll sich deutlich von der Ausgabe des Originalverlags unterscheiden. Der Leser soll merken, dass er ein besonderes Buch in den Händen hält. So produzieren wir z.B. bedruckte Leinenbände, die für unsere Dienstleister immer wieder eine Herausforderung darstellen, da Leinen beweglich ist. Ein sauberer und qualitativ hochwertiger Druck ist aber für uns maßgeblich. Bei Büchern mit Schutzumschlag ist auf dem Leinen oft ein kleines aber wichtiges Motiv gedruckt oder geprägt, das die Verbindung zum Inhalt aufgreift.

In den Medien konnte man die Krise des Bertelsmannclubs mitverfolgen. Sicher kann man beide Modelle an sich nicht miteinander vergleichen aber auch bei der Büchergilde gab es in den letzten 90 Jahren kritische Phasen. Wie sieht es heute aus? Leben Sie mit der täglichen Angst um die Zukunft der Buchgemeinschaft?

Gute Frage! Sagen wir mal so: Ich bin von der Idee überzeugt. Der Bildungsauftrag ist nach wie vor aktuell. Man muss ihn natürlich in Bezug auf die heutige Gesellschaft neu überdenken. Wie ist die Gesellschaft gestaltet, was können wir machen und wie können wir uns weiter entwickeln? Zukünftig möchte ich mehr Allianzen eingehen, z.Bsp. mit kulturellen Einrichtungen vor Ort und Partner-Buchhandlungen.

Das Vertrauensleute-Modell der Gründerjahre kann man ja heute nicht mehr 1:1 übertragen. Eine Idee, die aber darauf aufbaut, könnte sein: vier oder fünf „Botschafter“ aus einem Ort zu benennen, die an die Partner-Buchhandlungen angebunden sind. Diese tragen die Idee der Buchgemeinschaft im Auftrag der Büchergilde in ihr soziales Umfeld und darüber hinaus.

In den unruhigen Zeiten der letzten Jahre gab es auch Gewinner. Das hat die Branche gespürt. Heute merkt man ganz deutlich, dass sich etwas bewegt: Der Börsenverein des Buchhandels hat eine Kampagne gestartet: Vorsicht Buch! Ich finde sie leider nicht wirklich gelungen. Aber die Stiftung Buchkunst hat sich neu ausgerichtet und die unabhängigen Buchhändler werden selbst aktiv.

Wir leben in der heutigen Zeit in einer Konsumwelt der Beliebigkeit. Wir werden geradezu überschwemmt mit unzähligen neuen Produkten. Unsere Zielgruppe hat aber ein gewisses Reflexionsbewusstsein und einen Anspruch an das Leben bzw. an die Dinge, womit sie sich umgibt. Der bereits genannte Überfluss führt eben auch zu Abwehrreaktionen.

Man hat immer Ängste, wenn die Umsätze mal nicht stimmen oder wenn Kollegen krank werden. Aber wenn die Büchergilde den Weg auch zukünftig so motiviert und mit Mut zur Innovation weiter geht, ist mir um diese eigentlich nicht bange.

Die Mediennutzung hat sich stark verändert, digitale Medien beherrschen den Alltag. Wie reagiert die Büchergilde auf diese Entwicklung?

Damit meinen Sie wahrscheinlich das E-Book. Dieses Thema verfolgt mich seit Jahren. Das Problem aber gerade beim E-Book ist, dass die Lobby, die dahinter steht, Zahlen prognostiziert, die vorne und hinten nicht stimmen. Nur acht Prozent des Branchenumsatzes wird mit dem E-Book gemacht. In den USA, unsere Vorreiter in allen Dingen, ist der Umsatz bereits um fünf Prozent gefallen.

Ein weiterer Punkt: Man sollte genau hinschauen, was sich die Leser auf ihren E-Reader laden. Über diesen Kanal wird überproportional leichte Kost konsumiert. Programmatisch hat das aber wenig mit der Büchergilde zu tun. Des Weiteren können wir mit Lizenzausgaben keine E-Books vertreiben.

In den letzten Jahren wurde das Programm immer mehr erweitert. Man kann heute bei der Büchergilde neben guten Büchern auch Musik, Filme, Geschenke, Spiele aber auch Kunst kaufen. Gibt es Büchergilde-Klassiker?

Mario Früh: Musik und Kunst gab es schon immer. Da achtet die Büchergilde natürlich auch auf die Qualität. Im Bereich der Kunst verkaufen wir Originalgrafiken, die streng limitiert sind. Die Idee hinter den Non-Book Produkten ist das spielerische Lernen.

41BIBhyUzkL._SX385_
Lyrik Box der Büchergilde

Die Lyrik Box war zum Beispiel ein wahrer „Verkaufsschlager“. Die Vorlage dazu war ein Artikel, den ich in der Bahn gelesen hatte. Ein Schwarzamerikaner verdiente sein Geld damit, dass er Gedichte schrieb und diese auf der Straße verkaufte. Nun gibt es bei der Büchergilde auch verschiedene Lyrikanthologien. Aber wann nimmt man schon seine Lieblingsgedichte zur Hand? So entstand die Lyrik Box, die aus 50 Karten mit typografisch gestalteten Gedichten und 50 Blanko-Karten besteht. Auf die Blanko-Karten kann man die eigenen Lieblingsgedichte schreiben und sich so seine individuelle Lyrikanthologie zusammenstellen.

Unknown-3Der Klassiker schlechthin ist aber das Büchergilde Kochbuch, das in den 50er-Jahren entstanden ist. Dieses wurde über 300.000 mal verkauft. Letztes Jahr ging Florian Illies mit „1913“ besonders gut und wir drucken dieses Buch nun zum wiederholten Male nach.

Nun haben wir so viel über die Büchergilde und gute Bücher gesprochen. Ich habe mich durch die unzählig vielen interessanten Seiten auf der Website gearbeitet. Dabei viel Neues entdeckt und erfahren. Gibt es denn auch ein Buch über die Büchergilde selbst?

Mario Früh: Es gab zu den verschiedenen Jubiläen immer mal wieder Broschüren. Aber es gibt auch ein Buch über die Büchergilde im weitesten Sinne: „Das Geheimnis schöner Bücher“:

Not_for_Sale-a0bd8815„Ein Buch über tolle Typen, gute Vorsätze und die illustren Seiten des Büchermachens. Aus über 85 Jahren Buchhandwerk der Büchergilde hat die Gestalterin Angelika Richter besonders schöne Beispiele zu Typographie, Illustration, zur Gestaltung von Einbänden und Umschlägen gesammelt und zu einem eigenen Kunstwerk zusammengefügt.“

Das Buch ist vor zwei Jahren erschienen und der Gedanke war, an vielen Beispielen die Möglichkeiten von Typografie, Buchkleid, Illustrationen und Satzspiegel aufzuzeigen. Aber auch Fachbegriffe wie „Hurenkind“ oder „Schusterjunge“ werden genauer erklärt. Dieses Buch kann man nirgendwo kaufen und ist nur über eine Mitgliederwerbung erhältlich.

Meine letzte Frage an Sie, Herr Früh: Warum sollte man heutzutage der Buchgemeinschaft Büchergilde beitreten?

Mario Früh: Es gibt ganz verschiedene Aspekte. Bei der Büchergilde kann man sich sicher sein, dass ein bestimmtes Niveau nicht unterschritten und der ästhetische Anspruch gewahrt wird. Je stärker die Gemeinschaft ist, umso mehr kann man sich engagieren. Daher zählt für uns wirklich jedes einzelne Mitglied.

Ein schönes Beispiel für die Leistung der Gemeinschaft sind die illustrierten Bücher, die in der Herstellung um ein Vielfaches teurer wären. Normalerweise kosten diese zwischen 49 und 59 EUR. Nur durch die Gemeinschaft sind solche Auflagen mit einem Einzelpreis von 22,95 EUR möglich. So schaffen Büchergilde-Bücher auch gewisse Werte. In Antiquariten werden einzelne Ausgaben zu hohen Beträgen gehandelt.

In der Buchgemeinschaft findet ein geistiger Austausch statt, man ist Teil einer kulturellen Gesellschaft. Bücherklubs sind im Allgemeinen ziemlich beliebig, ohne das jetzt abwertend zu beurteilen. Die Büchergilde verfolgt einen kulturpolitischen Anspruch.

Im Grunde ist die Büchergilde ein Non-Profit Unternehmen. Das funktioniert nur mit viel Leidenschaft und Engagement. Wir wollen mit unserer Arbeit auch eine gewisse Verantwortung innerhalb und für die Gesellschaft übernehmen.

_________

Herr Früh, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit, für die vielen schönen Geschichten rund um die Büchergilde. Ich wünsche Ihnen und ihrem Team weiterhin alles Gute und viel Erfolg für die wunderbaren und zugleich wichtigen Projekte im Zusammenhang mit der Büchergilde.

Werbung

5 Kommentare

  1. Wie schön, dass ich nun dabei bin! Bin schon sehr gespannt aufs neue Programm. :) Danke dir nochmals für den Anstoß und selbstverständlich auch für das informative und wunderbare Interview.

    Like

    1. Liebe Caterina,

      die neuen Bücher sind ja schon da. Ma weiß mal wieder nicht, was man nehmen soll. Die Auswahl an wunderbaren Büchern ist einfach zu groß. Dir viel Freude am Stöbern und Lesen :)

      Like

Und was sagst du dazu ...?

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s