Ja, die Leipziger Buchmesse 2023 ist schon wieder etwas länger Geschichte. Einen kleinen Rückblick und meine Highlights der Messe möchte ich dennoch festhalten. Meine ersten Schritte durch die große Glashalle auf dem Messegelände waren nach drei Jahren Abstinenz nostalgischer Natur. Ich habe die Messe bereits aus ganz unterschiedlichen Perspektiven erlebt. Als Kind, als die Buchmesse noch in der Stadt in den alten Messehäusern stattfand, als studentische Aushilfe, die Leseforen betreute und Mikrofone für Lesungen einstellte und als Praktikantin in der Presseabteilung der Messe. Viele Jahre besuchte ich die Messe regelmäßig als passionierte Leserin guter Literatur, bis ich 2011 mit dem Bloggen begann. Von da an nahm ich die Messe vor allem als Literaturbloggerin wahr und betreute 2015 zusammen mit Ruth Justen die BloggerpatInnen. 2023 war anders. In den letzten zweieinhalb Jahren kam ich aufgrund von Jobwechsel und Pandemie nicht mehr so regelmäßig zum Bloggen. Und so war ich vor allem wieder mal als Besucherin auf der Messe – Kontakte zu Verlagen und BloggerInnen hatte ich natürlich trotzdem. In kurzen Sequenzen möchte ich meine Erlebnisse festhalten.
Das erste Gespräch hatte ich beim Projektstand Verbrannte Orte. Den Verein hatte ich bereits vor einigen Jahren auf der Buchmesse in Frankfurt entdeckt und kennengelernt. Die Initiatoren haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Orte der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen von 1933 aufzusuchen, zu fotografien und in einem Onlineatlas festzuhalten. Mittlerweile wurden über 160 Bücherverbrennungen dokumentiert und die heutigen Orte fotografiert. In diesem Jahr war der Verein mit einem eigenen Buch vor Ort, das gerade erst beim Mandelbaum Verlag erschienen ist. Es enthält die Fotografien der Orte und stellt diese anhand von Fotos und Texten vor, an denen 1933 Bücher verbrannt wurden. In Leipzig wurden damals Bücher direkt neben dem Volkshaus in der Karl-Liebknecht-Straße verbrannt!
Meine erste Lesung auf dem Messegelände führte mich zu den „Unabhängigen“. Damit sind die vielen kleinen Verlage gemeint, die eben unabhängig von großen Konzernen agieren und für die hiesige Verlagswelt so wichtig sind. Sie leisten mit ihren Programmen und Büchern einen wichtigen Beitrag gegen den Mainstream. Sie widmen sich vergessenen Autorinnen und Autoren, wagen sich an Experimente und schaffen so ein vielfältiges und breites literarisches Spektrum. Die Edition Maulhelden gehört zu diesen unabhängigen Verlagen und die Schriftstellerin Alfonsina Storni ist eine solche literarische Wiederentdeckung. Sie wurde im Forum der „Unabhängigen“ von Hildegard Keller, Übersetzerin und Verlegerin der Edition Maulhelden, vorgestellt. Storni (1892-1938) wurde in der Schweiz geboren, lebte später in Buenos Aires, schrieb auf Spanisch und veröffentlichte neun Gedichtbände. Eine Auswahl ihrer (unveröffentlichten) Liebesgedichte hat die Herausgeberin Keller in „Ultrafantasia“ in deutscher und spanischer Sprache zusammengetragen und illustriert. Der Band ist einer von fünf Bänden, die Keller in ihrem Verlag herausbringt. Neben den Gedichten sind auch die Theaterstücke, Interviews & Briefe und Geschichten von Storni im Verlag erhältlich. Hildegard Keller kenne ich noch von einer anderen Begegnung. Während der Pandemie erschien ihr Buch „Was wir scheinen“. Ein biografischer Roman über die Philosophin Hannah Arendt. Keller gab damals eine digitale Lesung, die erste, an der ich bis dahin teilgenommen hatte.



Am ersten Messeabend feierte der Eichborn Verlag seine Verlagsparty in der Distillery, Leipzigs ältestem Techno-Club. Seit Ewigkeiten war ich nicht mehr in dem Club. Schon allein deshalb war es ein absolutes Muss, der Einladung zu folgen. In Erinnerung geblieben sind mir die unterhaltsamen und witzigen Buchvorstellungen von Max Kersting „Auf der Suche nach Trouble“ und Felix Bork „Oh, ein Stein“ . Das Buch „Tönende Tiere“ fand ich besonders gelungen, da es verschiedene künstlerische Ebenen berücksichtigt. Auf einer Doppelseite stellt der Biologe und Musiker Dominik Eulberg an die 50 Tierarten vor: Vom Zaunkönig, über Schmetterlinge bis hin zum Reh ist alles vertreten. Das Besondere daran: Über einen QR-Code kann man sich die Geräusche und Klänge der jeweiligen Tierart anhören. Außerdem hat Eulberg zu den Tieren passende Musikstücke komponiert. Illustriert werden die Tiere durch Fotos von einzigartiger Tierskulpturen. Der Künstler Matthias Garff hat dafür Alltagsgegenstände gesammelt und zu Tieren geformt. So wird beispielsweise aus einem alten Telefon ein grasgrüner Frosch mit einer Wählscheibe auf dem Rücken. Einige dieser Tierskulpturen waren an diesem Abend auch zu bewundern. Nach fast zwei Stunden Literaturprogramm des Eichborn Verlags legte dann auch endlich der DJ auf und es wurde getanzt.

„Wir pflegen unseren Wald nicht, wir schlachten ihn ab.“
Peter Wohlleben
Der Messefreitag begann für mich mit einer Pressekonferenz der Klimabuchmesse, die zeitgleich und in Kooperation mit der Buchmesse stattfand. Zu Gast waren Gisela Wehrl, Kuratorin der Klimabuchmesse, Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse und Prof. Kathrin Böhning-Gaese, Autorin „Vom Verschwinden der Arten“ und Leiterin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums. Klimaschutz-Experte und Autor Svend Andersen moderierte die PK. Prof. Böhning-Gaese erklärte einleitend: „Ich freue mich riesig über die Klimabuchmesse. Wir brauchen solche Räume für spannende und kritische Diskussionen. Physisch und gesellschaftlich, denn wir müssen mehr über die Zwillingskrisen Klimawandel und Artensterben diskutieren“. Gisela Wehrl von der Klimabuchmesse verwies auf die umfangreichen Vorbereitungen und die ersten Erfahrungen nach einem Tag Klimabuchmesse: „Das ganze Team arbeitet ehrenamtlich und hat viel im Vorfeld viel geleistet. Das Interesse der BesucherInnen ist bisher sehr groß“.


Oliver Zille wurde direkt nach einer zukünftigen Zusammenarbeit 2024 gefragt: „Als Messe sind wir eine Wirtschaftsveranstaltung, wir erfinden keine Themen. Wir transportieren relevante Themen der Verlage nach außen. Themen, die in der Gesellschaft diskutiert werden,“ wich er ein stückweit aus und legte sich noch nicht fest. Aber man würde sich auf jeden Fall im Nachgang zusammensetzen, diskutieren und weiter im Gespräch bleiben. Abschließend unterstrich Boehing-Gaese die Verantortung der Wissenschaft, positive Aspekte nach außen zu transportieren: „Als WissenschaftlerInnen sind wir in der Pflicht, Themen in die Gesellschaft zu tragen, Handlungsoptionen und Lösungen aufzuzeigen. Wir können Alternativen und positive Szenarien aufzeigen und den LeserInnen Hoffnung geben“. Ähnliche Gedanken waren auch bei der Buchvorstellung von „Waldwissen – Vom Wald her die Welt verstehen“ auf dem Messegelände zu hören. Das Buch wurde von Peter Wohlleben und dem Biologen Pierre L. Ibisch für einen neuen Studiengang konzipiert, soll aber auch für alle anderen gedacht sein und ein neues Standardwerk über den Wald werden!



Mit dem Hashtag Jina #MahsaAmini begannen 2022 die Proteste gegen das iranische Regime. Die Deutsch-Iranerin Gilda Sahebi, Politikerin Sawsan Chebli und die Kinderbuchautorin Isabel Abedi diskutieren über die Macht und die Kehrseite von Social Media. Vor allem die Politikerin Chebli erfährt auf Facebook & Co viel Hass. Ihre Erlebnisse hat sie in ihrem Buch „LAUT – Warum Hate Speech echte Gewalt ist und wie wir sie stoppen können“ festgehalten. Neben den negativen Seiten gibt es aber auch positive. So hätten wir ohne Instagram und Twitter sicher nicht so viel von den Ereignissen im Iran mitbekommen. Die Journalistin und Schriftstellerin Gilda Sahebi bestätigt dies mit ihren Erfahrungen und lässt in ihrem Buch „Unser Schwert ist Liebe – Die feministische Revolte im Iran“ Menschen aus dem Iran zu Wort kommen. Diese sehen in den Plattformen die einzige Möglichkeit, der Welt, aber auch anderen Iranerinnen und Iranern von ihrem täglichen Leid zu berichten. Sahebi ist u.a. sehr aktiv auf Twitter und berichtet und teilt täglich, was in ihrem Heimatland geschieht. Eine Rückkehr in den Iran ist derzeit unmöglich. Als eine Zuschauerin während der Lesung ihr Mitgefühl ausdrückt und von ihrem Engagement berichtet, einen Protestbrief an den iranischen Botschafter geschrieben zu haben, bestärkt Sahebi sie und erklärt gleichzeitig, wie wichtig jede einzelne Stimme ist, auch wenn man das Gefühl hat, sie sei zu klein, zu unbedeutend. Sahebi gibt den Mut nicht auf und zeigt sich hoffnungsvoll, dass für den Iran eine bessere Zukunft möglich ist.



Ein Verlagstreffen gab es dann aber doch noch. Die Penguin Random House Verlagsgruppe lud zu einem der Treff der LiteraturbloggerInnen und stellte die neuesten Programme vor. Mit dabei u.a. das Herbstprogramm des Manesse Verlags. Überraschend schaute die Autorin Ulrike Draesner vorbei, sie gesellte sich zu uns und erzählte uns u.a. von ihrer wunderbaren Begegnung mit Salman Rushdie. Sie war mit ihrem Roman „Die Verwandelten“ für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik nominiert. Gewonnen hat sie den Preis leider nicht. Dafür gewann eine andere Autorin aus dem Verlag den diesjährigen Preis in der Kategorie Sachbuch: Regina Scheer mit ihrer Biografie über die Sozialistin Hertha Gordon-Walcher „Bittere Brunnen„. Das Buch habe ich an diesem Nachmittag mitgenommen. Schließlich gehören Biografien zu meiner regelmäßigen Lektüre.

„O die unerhörten Möglichkeiten“
Der Büchergilde-Salon fand auch in diesem Jahr im Museum für Druckkunst in Leipzig statt. Die Gestalterin Clara Scheffler, Illustrator Hans Ticha und Herausgeber Günter Berg sprachen mit der Moderatorin Corinna Huffmann, Programmleiterin der Büchergilde, über den neuen Brecht-Band „O die unerhörten Möglichkeiten. Ausgewählte Gedichte„. Herausgeber Berg hatte die Herkulesaufgabe, aus 2.400 Brecht-Gedichten eine Auswahl für diese Ausgabe zu treffen. Hans Ticha, der eigentlich kein Buch mehr illustrieren wollte, sagte wegen Brecht dann doch noch zu. Buchgestalterin Clara Scheffler arbeitete bereits zum zweiten Mal mit Hans Ticha zusammen und ging mit großem Respekt an die Aufgabe heran. Sie hatte die Idee, das Buch als Bühne für Texte und Zeichnungen zu gestalten und arbeitete dafür mit drei Schriften. Tichas Anliegen war es immer, Gebrauchsbücher zu illustrieren und keine Bücher für die Vitrine zu produzieren. Dieses Prinzip passt wunderbar zur Büchergilde und zu Brechts Anspruch, Gebrauchsliteratur zu schaffen. Die Buchgestaltung, Typographie, Satzspiegel, Buchgröße inbegriffen, ist gerade bei Lyrikbänden sehr wichtig. Die drei, die maßgeblich an dem Buch beteiligt waren, trafen sich an diesem Abend zum ersten Mal in dieser Konstellation. Nur Hans Ticha und Clara Scheffler trafen sich einmal während des Entstehungsprozesses. Laut Huffmann ging die Büchergilde mit der 1. Auflage auch ein Risiko ein, denn 7.000 Exemplare seien für einen Gedichtband relativ viel.



Für meine letzte Lesung im Rahmen der Leipziger ging es in die Karl-Liebknecht-Straße. Dort traf ich auf Jakob Springfeld, der sein Buch „Unter Nazis. Jung, Ostdeutsch, Gegen Rechts“ vorstellte und über seine Erfahrungen in seiner Heimatstadt Zwickau sprach. In den vergangenen Wochen und Monaten hatte er bereits viele Lesungen, viele davon auch in ostdeutschen Kleinstädten. Bei einigen musste er unter Polizeischutz lesen. Die Relativierung der politischen Kräfte in Zwickau und die fehlende Aufklärung rund um das NSU-Trio, das viele Monate unentdeckt in Zwickau lebte, thematisierte er ebenso wie die Angst, die er über viele Jahre hatte. Er gründete u.a. die Ortsgruppe Friday for Future Zwickau und wurde bei den Aktivitäten massiv von Rechten angegangen.


Und noch mehr Berichte…
Der Kaffeehausitzer erzählt von seiner Leipziger Wohnzimmerlesung, die bereits zum dritten Mal stattfand. Constanze von Zeichen und Zeiten führte auf der Messe ein Interview mit Lars Clasen, Verleger des neu gegründeten Kjona Verlags. Birgit Böllinger stellt sich die Frage: „Messe lebt, Buch ist tot?“ und auf Interllectures könnt Ihr einen Beitrag zum Preis der Leipziger Buchmesse lesen.
Mir erging es ganz ähnlich. Als am Donnerstag die Durchsage kam, mit der die Gäste auf der Buchmesse begrüßt wurden, spürte ich ein gewisses Gefühl des Glücks. Diesen Trubel – was habe ich ihn vermisst. Es war schön, Dich mal wieder gesehen zu haben, Danke für diesen tollen und vielfältigen Einblick in Deine Buchmesse. Auf bald und liebe Grüße
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