Hoher Gast in Frankfurt beim Weltempfänger-Salon von litprom. Horacio Castellanos Moya stellte letzte Woche seinen neuen Roman „Der Traum von Rückkehr“ in deutscher Übersetzung vor. Der Schriftsteller wurde 1957 in Honduras geboren und lebt bereits seit Jahrzehnten im Exil (Kanada, Costa Rica und Mexiko). Von 2004 bis 2006 war er im Rahmen des Projekts Stadt der Zuflucht zu Gast in Frankfurt und er freute sich an diesem Abend alte Bekannte und Freunde wieder zusehen. Moya erinnerte sich gern an diese Zeit denn er habe in Frankfurt eine schöne und schriftstellerisch sehr aktive Phase gehabt. Durch den Abend moderierte die deutsche Lektorin Corinna Santa Cruz vom S. Fischer Verlag und Jochen Nix las eindrucksvoll den deutschen Text.
Horacio Castellanos Moya erlebte ich bereits zum zweiten Mal. 2010 hatte er zuletzt seinen Roman „Der schwarze Palast“ in Frankfurt vorgestellt. Gespannt war ich auf die erneute Begegnung.

Auf die Frage von Frau Santa Cruz, ob die Suche nach der Wahrheit ein zentrales Thema des Romans sei entgegnete Moya, dass er nicht sicher wär ob Erasmo, der Held oder vielmehr Antiheld des Romans wirklich nach der Wahrheit suche.
Eigentlich will der im Exil lebende Journalist sie gar nicht näher kennenlernen, seine dunkle geheimnisvolle Seite, die jeder Mensch hat. Nur gesund werden möchte er, von den Leiden erlöst werden, die seine Leberschmerzen verursachen. Aus diesem Grund begibt sich der in El Salvador geborene junge Mann in die Hände eines Arztes, der mit Hypnose-Behandlungen Erasmos Erinnerungen ans Licht zerrt.
La verdad es la memoria
Es ist der Anfang eines schwindelerregenden Zerfalls. Eine Dekonstruktion des labilen Gerüsts aus Wahrheit (verdad), Erinnerung (memoria) und Erlebten und an dessen Ende die Entgleisung der eigenen Identität steht. Der Glauben an die Erinnerungen beginnt mit jeder Sitzung mehr zu bröckeln. Was ist in der Vergangenheit passiert? Hat es sich wirklich so ergeben? Kann ich mich wirklich daran erinnern oder wurde es mir nur unzählige Male erzählt, so dass ich jetzt annehme, ich könnte mich daran erinnern. Fragen, die eine zerstörerische Kraft entwickeln.
Moyas Roman weist wenige Dialoge auf, es ist vielmehr ein ununterbrochener Monolog der Hauptfigur Erasmo. Für den Schriftsteller ist dies die optimale Form Empathie für seine Charaktere zu wecken. Ein Erzähler hätte eine Distanz erzeugt und die Nähe zerstört. So fühlt und leidet der Leser eben mit und erlebt mit Erasmo die Zeit des Exils in Mexiko. Horacio Castellanos Moyas hat selbst viele Exilerfahrungen gesammelt und er ist sich sicher, dass dieser Zustand ein Trauma bei vielen Menschen verursache. Natürlich seien immer auch die äußeren Umstände und das Alter des Exilanten entscheidend. Als junger Mensch passe man sich viel schneller an aber als Erwachsener, der ein komplettes Leben zurück lasse, sei es nicht einfach sich zu integrieren. Bei Erasmo sei der Fall anders: Sein Trauma sei auf die Zeit vor dem Exil zurückzuführen, auf seine Erlebnisse in El Salvador.
Neben dem Versuch Erinnerungen, Erlebtes und die Wahrheit in Einklang zu bringen, steht vor allem auch die eigene Schuld im Zentrum von Erasmos Gedanken. Warum ist er damals nicht geblieben und hat für seine Ideale gekämpft? Warum möchte er erst nach El Salvador zurückkehren als sich eine Befriedung der Situation in der Region abzeichnet? Fragen, die auch von seiner Frau aufgeworfen werden.

Trotz dieser Komplexität und Ernsthaftigkeit der Themen entdeckte Frau Santa Cruz auch eine humorvolle Seite im Roman. Durch die Überzeichnung der Figur des Erasmo und seine Naivität entstehen immer wieder humorvolle Passagen. Moya ist sich dessen bewusst, es sei aber keinesfalls von vornherein geplant gewesen. Für ihn sei der Humor eine Waffe, eine Art Selbstschutz.
Somos capaces de lo peor
Interessant ist die unterschiedliche Rezeption seiner Romane im Ausland. Überrascht hätten ihn amerikanische Studenten, die ihn doch tatsächlich fragten, warum seine Romane so gewalttätig seien. Das Leben sei für Moya nicht Schwarz/Weiß nicht in Gut und Böse aufgeteilt – damit könne er nicht dienen. Wir alle wären fähig für das Schlechteste. Gleichwohl gelte dies für das Gegenteil. Er wolle nicht als Richter auftreten und die Entscheidung dem Leser überlassen.
Die Idee für diesen Roman ist in den 80er Jahren entstanden. Als er in Mexiko viele junge, traumatisierte Menschen aus El Salvador kennenlernte. Eine Gruppe von argentinischen Psychologinnen nahmen sich damals dieser Leute an. Eine davon arbeitete unter anderem mit Hypnose. „Der Traum von Rückkehr“ ist letztendlich Produkt aus vielen Erfahrungen aus dieser Epoche und ein ganz wichtiger Beitrag zur aktuellen Situation der vielen Flüchtlinge, die sich schweren Herzens von ihrer Heimat verabschieden mussten, um jetzt im Exil Zuflucht zu finden. Moyas Roman kann dabei helfen sich einzufühlen in die Gedanken und Gefühle von Exilierten.
Vielen Dank fuer den tollen Bericht von der Veranstaltung!
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Lieber Tobias,
gern geschehen. Ich würde es umformulieren: Vielen Dank für den Bericht von der tollen Veranstaltung! :)
Liebe Grüße von Vera
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