Literarisches Frühjahr: bunt aber mit Tiefgang

In den letzten Wochen und Monaten sind wieder einige neue Bücher erschienen aber auch ältere Bücher haben meine Aufmerksamkeit erregt. Auch wenn sich der Frühling mit leuchtenden Farben und Sonneschein ankündigt, ist meine Lektüre wieder herausfordernd und nicht immer leicht verdaulich.

Frühjahrauslese 2024 ©glasperlenspiel13

Anna Seghers-Preis 2024: Carlos Fonseca & Johannes Herwig

In diesem Jahr erhalten der Jugendbuchautor Johannes Herwig und der costa-ricanische Autor Carlos Fonseca den Preis. Fonsecas dritter Roman „Austral“ erschien im März auf Deutsch im Wagenbach Verlag. Der Preisverleihung hatte ich zuletzt 2019 in Mainz beigewohnt. Damals konnte ich mexikanische Preiträgerin und Schriftstellerin Fernanda Melchor interviewen.

Von Herwig möchte ich sein Debüt „Bis die Sterne zittern“ lesen. Er war damit für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Der Plot hat mich besonders gereizt: „Leipzig, 1936. Am ersten Tag der Sommerferien wird der 16-jährige Harro in eine Prügelei mit Hitlerjungs verwickelt. Unverhofft bekommt er Hilfe von Gleichgesinnten, die wie er nichts mit der Nazi-Ideologie zu tun haben wollen. In dem Jahr, das folgt, ändert sich für Harro alles. Reibereien mit den Eltern und Ärger in der Schule, Nächte am Lagerfeuer, politische Aktionen, erste Liebe. Und über allem die bange Ahnung, dass sein wildes Treiben gefährliche Konsequenzen haben kann. Im Mittelpunkt stehen die »Leipziger Meuten«, oppositionelle Jugendcliquen ähnlich den »Edelweißpiraten« und ihr Erwachsenwerden in einer Diktatur.

Die Barcelona-Trilogie von Montserrat Roig

Die katalanische Schriftstellerin Montserrat Roig war mir bisher kein Begriff. Mit ihrer Trilogie wird sich das ändern. Den ersten Band „Die Frauen vom Café Núria“, der in den 1970er Jahren in Spanien erschien, habe ich bereits gelesen und war sehr angetan. Barcelona ist der Schauplatz der verschiedenen Erzählstimmen, die vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre reichen. Drei Frauengenerationen kommen zu Wort. Die Besprechung erscheint demnächst auf dem Blog aber so viel kann ich Euch schon verraten: Kauft dieses Buch und lest es! In der Zwischenzeit freue ich mich auf Band 2 „Als wir von den Kirschen sangen“, der im Herbst in den Läden erscheint.

Mit Montserrat Roig entdecke ich innerhalb kürzester Zeit die zweite große weibliche Stimme aus Katalonien. Maria Barbal, die weltbekannte Autorin, mit ihrem Roman „Wie ein Stein im Geröll“, habe ich erst letztes Jahr kennengelernt. Eine weitere Autorin aus dieser Region ist Mercè Rodereda. Mit der Übersetzerin Kirsten Brandt, die auch Montserrat Roig übersetzt hat, konnte ich vor einigen Jahren über Roderedas wiederentdeckten Roman „Der Garten über dem Meer“ sprechen.

Neues aus Chile und ein kolumbianischer Klassiker

Alia Trabucco Zerán aus Chile erhielt 2022 den Anna Seghers-Preis 2022. Zwei Jahre später erscheint ihr Roman „Mein Name ist Estela“ bei uns in Deutschland. Die Lektüre stand für mich schon fest, weil Chile 2027 Gastland auf der Frankfurter Buchmesse sein wird und ich bis dahin zumindest alles lesen möchte, was auf Deutsch erscheint. Nona Fernández, eine der bekanntesten chilenischen Schriftstellerinnen, hat sich in ihrem jüngsten Buch erneut mit der Pinochet-Diktatur auseinandergesetzt. Im Rahmen von 50 Jahre Putsch in Chile erschien „Twilight Zone“. Die Dritte im Bunde ist María José Ferrada mit ihrem Roman „Der Plakatwächter“. Die Jorunalistin, die bereits über 30 Kinderbücher veröffentlicht hat, begeisterte mich schon letztes Jahr mit ihrem Buch „Kramp“.

Der Roman von Marvel Morena „Im Dezember der Wind“ ist noch ein Geburtstagsgeschenk aus 2023 und die Wiederentdeckung einer weiblichen Stimme aus Lateinamerika. Der Roman erschien erstmalig 1987 und wird gerade in verschiedene Sprachen übersetzt. Ich bin sehr gespannt auf diese „karibische Saga um vier Freundinnen“.

Mainzer Stadtschreiberin: Julia Schoch

Die Autorin Julia Schoch ist dieses Jahr Mainzer Stadtschreiberin und stellt auf verschiedenen Lesungen und Veranstaltungen ihr aktuelles Buch „Liebespaar des Jahrhunderts“ vor. Für November habe ich bereits Karten besorgt und erste Eindrücke beim letzten Büchergilde-Literaturkreis erhalten. Die besondere Perspektive im Buch hat nicht alle in der Runde überzeugen können, mich hat es vor allem neugierig gemacht. Das Buch ist der zweite Band der Trilogie „Biographie einer Frau“.

Reisen & Natur

Nicht nur belletristische Lektüre hat bei mir Einzug gefunden, sondern auch Sachbücher. Da wäre beispielsweise „Europa mit dem Zug – Geheimtipps von Freunden“ vom Verlag Reisedepeschen zu nennen. Beim ersten Durchblättern bin ich schon ganz begeistert. Keine Textwüsten, visuell wunderbar mit Karten und Fotos aufbreitet und in einer wunderschönen Aufmachung. Ich habe direkt das nächste Ziel unter die Lupe genommen: Mit dem Nachttzug nach Rom.

Der Natur komme ich mit einem Titel aus der neuen Reihe Diogenes Tapir näher. Unter dem Motto „Take Care“ geht der Verlag neue Wege. Die Sachbücher und Romane in dieser Reihe sollen eigene Antworten finden, trösten und verzaubern. Sie erzählen von Natur, der Geschichte der Menschheit, ihren Kulturen, von Gemeinschaft und Respekt. Die Ausstattung der Bücher untermauert die Philosophie mit dem nachhaltigen Cradle to Cradle Verfahren. Aus der Reihe liegt hier bereit „Die Libanonzeder“ von Raffaella Romagnolo. Auf diesen wunderbaren Baum bin ich erstmalig bei Meir Shalev „Mein Wildgarten“ gestoßen.

Büchergilde Quartalsbuch

Jedes Quartal gibt es für mich auch ein anspruchsvolles und wunderschön gestaltetes Buch von der Büchergilde. Für dieses Quartal liegt bei mir „Das Schloss der Schriftsteller – Nürnberg – Treffen am Abgrund“ von Uwe Neumahr auf dem Lesestapel. Neumahr schreibt in verschiedenen Kapitel, die jeweils eine bekannte Persönlichkeit überschreibt, über das Press Camp, das sich 1946 auf Schloss Faber-Castell befand. In diesem waren John Dos Pasos, Erika Mann, Erich Kästner, Alfred Döblin, Willy Brandt, Martha Gellhorn und Markus Wolf zusammen. Viele bekannte Persönlichkeiten, die neben ihren Rollen als Journalistinnen, Reportern und Schriftstellerinnen auch über Schuld, Sühne, Gerechtigkeit und über die Nürnberger Prozesse diskutierten. Das ist interessiert mich ganz besonders und ich bin gespannt, wie Neumahr die Geschichte aufbereitet.

Mareike Fallwickl: Und alle so still

Auf dem Foto leider nicht zu sehen aber es ist bereits bestellt und muss nur noch abgeholt werden. Das neue Buch von Mareike Fallwickl „Und alle so still“ kündigt der Verlag mit folgenden Worten an: „Ein großer feministischer Gesellschaftsroman über Widerspruchsgeist und Solidarität“. Bereits ihr Roman „Die Wut, die bleibt“ sorgte dafür, dass sich viele Frauen verstanden und bestätigt fühlten – mit ihrer alltägliche Wut über alte, starre Strukturen und die ungerechte Verteilung von Care-Arbeit. Und nicht nur das, er hat auch Diskussionen im privaten und öffentlichen Umfeld angeregt und Aufmerksamkeit für diese Themen geschaffen. Mit dem neuen Roman wird sie sicher wieder die richtige Sprache finden und vielen Frauen erneut aus der Seele sprechen.


Jede Menge Lektüre für die nächsten Monate und was liegt bei Euch auf dem Bücherstapel?

12 Kommentare

  1. Liebe Vera,

    gerne kommentiere ich deine Bücherauswahl. Zwei deiner Lesevorschläge habe ich selbst schon rezensiert und war eher enttäuscht. Von Mareike Fallwickl habe ich „Die Wut, die bleibt“ gelesen und rezensiert: https://mittelhaus.com/2023/01/30/mareike-fallwickl-die-wut-die-bleibt/ mit dem Ergebnis: Ganz sicher kein feministischer Roman! Daher habe ich nicht mehr das Interesse weitere Romane von Mareike Fallwickl zu lesen.

    Der Roman von Julia Schoch „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ habe „nicht alle in der Runde überzeugen können“ , sagst du bei deiner Buchvorstellung. Genauso ging es mir auch, beim längeren Lesen sträubten sich meine Nackenhaare immer mehr. Hier nachzulesen: https://mittelhaus.com/2023/12/10/julia-schoch-das-liebespaar-des-jahrhunderts/

    Ich bin gespannt auf deine Rezensionen.

    Liebe Grüße

    Margret

    Like

    1. Liebe Magret,
      ich habe mir deine beiden Rezensionen angeschaut. In der Tat kann man deine Enttäuschung gut herauslesen. In der Vergangenheit habe sehr selten Beiträge zu Büchern geschrieben, die mir nicht gefallen. Ich habe so wenig Zeit, dass ich mir immer genau überlegen muss, über welches Buch ich wirklich schreiben möchte. Zu Julia Schoch werde ich sicher einen Beitrag zu ihrer Lesung veröffentlichen und Mareike Fallwickl habe ich anders wahrgenommen, von daher bin ich doch sehr gespannt auf ihr neues Buch.

      Liebe Grüße
      Vera

      Like

        1. Da kommt ja einiges zusammen. Vielen Dank!

          Und was ist mit Zafón? Keine Bücherliste zu Barcelona kommt ohne ihn aus.

          Like

  2. Für die bunte und tiefgehende Bücherschau vielen Dank und gute Lektüre!

    Würde mich freuen, wenn Du „Das Schloss der Schriftsteller – Nürnberg – Treffen am Abgrund“ von Uwe Neumahr vielleicht näher besprechen magst.

    Das Buch war in Nürnberg vorgestellt und rezensiert worden. Zum Themenkreis hatte ich damals interessiert gelesen:

    „Der Nürnberger Lernprozess. Von Kriegsverbechern und Starreportern. Zusammengestellt und eingeleitet von Steffen Radlmaier, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001, Die Andere Bibliothek, Herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger

    Beste Grüße, Bernd

    Gefällt 1 Person

    1. Hallo Bernd,

      ja, ich bin sehr gespannt auf das Buch – vor allem auf die Sprache und Stil.

      Hast du „Der Nürnberger Lernprozess. Von Kriegsverbechern und Starreportern.“ auch auf deinem Blog vorgestellt?

      Herzliche Grüße nach Nürnberg

      Gefällt 1 Person

      1. Danke der Nachfrage, liebe Bücherliebhaberin.

        „Damals“ gelesen bezog sich nicht auf Neumahrs Buch, sondern besser „vormals“ auf „Der Nürnberger Lernprozess“, 2001. Zwischen den Seiten finde ich die Grußkarte meines Bruders, der mir dies zum Geburtstag geschenkt hatte, und ich las es ziemlich frisch aus der Presse. Davormals waren mir Blogs noch unbekannt; ein Exzerpt hab‘ ich leider nicht. Die Lektüre fand ich spannend und informativ.

        Das Inhaltsverzeichnis findest Du in der Digitalen Bibliothek unter:

        https://d-nb.info/962275336/04

        Für heute Nacht erstmal gute Wünsche zum Maifeiertag und herzliche Grüße

        Bernd

        Gefällt 1 Person

        1. Danke für den Link Bernd! Das ist interessant und vom Aufbau ähnelt es sogar dem Buch von Neumahr. Sicher als vertiefende Lektüre zu empfehlen. Aber erstmal Fokus auf Neumahr.

          Liebe Grüße
          Vera

          Gefällt 1 Person

  3. Liebe Bücherliebhaberin, das liest sich ja wieder spannend, welch Literatur du dir ausgesucht hast! Auf deine Rezensionen freue ich mich schon, und bin mir sicher, dass ich das ein oder andere Buch danach auch gleich lesen werde. Vielen Dank für deine literarischen Anregungen über all die vielen Jahre!

    Herzliche Grüße aus der Bücher- und Messe-Hauptstadt ;-), dorito

    PS: Auf meinem Bücherstapel tümmeln sich gerade ein paar Exemplare zum Thema des entspannten Umgangs mit Pubertieren…..

    Gefällt 1 Person

    1. Liebes dorito!

      Ich freu mich sehr, von Dir zu lesen und zu wissen, dass Du mich all die Jahre begleitest. Und ich kann dich beruhigen, ich habe auch ein paar Exemplare „zum Thema des entspannten Umgangs mit Pubertierenden“. Liest sich alles gut aber wie schwer ist es, all das zu umzusetzen ;). An meiner Entspannung muss ich auf jeden Fall noch arbeiten.

      Die liebsten Grüße in die Heimat!!

      Like

Und was sagst du dazu ...?