Lisa Weeda & Dmitrij Kapitelman auf der Leipziger Buchmesse 2024

Im Rahmen der Leipziger Buchmesse 2024 waren die Niederlande und Flandern zu Gast. Die Schaubühne Lindenfels, Kulturinstitution und erstes deutsches Aktientheater im Westen von Leipzig, war Dreh- und Angelpunkt für die Veranstaltungen der beiden Gäste außerhalb des Messegeländes.

Schaubühne Lindenfels
Schaubühne Lindenfels ©glasperlenspiel13

Am ersten Buchmessetag betraten die niederländisch-ukrainische Schriftstellerin Lisa Weeda und der aus der Ukraine stammende deutsche Autor Dmitrij Kapitelman die Schaubühne in Lindenfels. Bettina Balteschev, die Kuratorin des Gastauftritts begleitete und moderierte durch den Abend. Ihr wichtiges und hoch interessantes Buch über den Querido Verlag ist mir noch gut in Erinnerung. Das Konzept dieses Gastauftritts war es, Brücken zu schlagen. Und so wurde jeweils jemand aus den Niederlanden/Flandern und jemand aus Deutschland eingeladen. In historischem Ambiente sprachen Weeda und Kapitelman über ihre Büchern und suchten Antworten auf Fragen der Identität und der Situation in der Ukraine.

Lisa Weeda ist mit ihrem Debüt „Aleksandra“ in vielen Ländern bekannt geworden und just an diesem Abend erschien druckfrisch ihr neuer Roman „Tanz, tanz, Revolution“. Dem Roman gingen ein politisches Gedankenspiel und vier Jahre der Konzeption voraus. Neben dem Schreiben arbeitet sie auch als Virtual-Reality-Regisseurin und sie wollte zunächst eine immersive Installation schaffen, in der man gegen Jelzin und Putin tanzen sollte. Das Erschreckende dabei: Man verliert den Tanz immer wieder, bis es am Ende einfach keinen Spaß mehr macht. Ganz nebenbei sollte man noch etwas über die imperialistische Geschichte lernen. Aufgrund der hohen Kosten von über 300.000 Euro kam dieses Projekt aber nie zustande, stattdessen entstand ein neuer Roman. Die Ukraine und der Krieg ist ein Thema, das sie seit vielen Jahren begleitet und das sie auf unterschiedliche Weise verarbeitet. Mit Installationen, aber auch schriftstellerisch. Die Gespräche mit ihrer ukrainischen Großmutter und deren Erlebnisse im letzten Jahrhundert bildeten die Grundlage für den bereits erwähnten Roman „Aleksandra“. Weedas niederländische Landsleute wussten vor wenigen Jahren nicht einmal, wo die Ukraine genau liegt. Heute kennt jede*r die Namen der Ortschaften Butscha, Irpin oder Mariupol.

Sprecherin Jasmin Galonski, Autorin Lisa Weeda, Autor Dmitrij Kapitelman und Moderatorin Bettina Balteschev (v.l.n.r) in der Schaubühne Lindenfels ©glasperlenspiel13

Diaspora des Todes

Ihr aktueller Roman „Tanz, tanz, Revolution“ stellt die Frage an das (Lese-)Publikum: Bewegen wir uns in Bezug auf den aktuellen Krieg zu wenig? Baba Yara jedenfalls nicht. In einem Land namens Besulia herrscht Krieg und Baba Yara schafft es, mit ihren Tänzen die Toten wieder zum Leben zu erwecken. Und wie ist das Leben danach? Wie denken und leben die Auferstandenen? Wie lange kann Baba Yara das durchhalten, wie lange kann sie tanzen, wenn Tausende tot sind? Um gleich im übertragenen Sinne weiter zu fragen: Wie lange halten wir durch, wann sind wir kriegsmüde? Wie lange lassen wir zu, was passiert? Wenn wir uns das alles schon fragen, wie geht es dann den Menschen im Kriegsgebiet? Es ist ein Aufbegehren durch einen Tanz, den nicht alle mittanzen wollen oder können. Für uns Außenstehende ist es ein Privileg, in Frieden leben zu können und ein Glück, in Kriegszeiten einen gesunden, lebendigen Körper zu haben.

Und noch eine berechtigte Frage stellt sie ganz am Ende der Veranstaltung: Warum reden wir immer noch so intensiv über Čechov und Tolstoi? Warum nicht auch über die Literatur anderer Länder und Regionen? Es gäbe noch so viel zu entdecken.

Eine Formalie in Kiew

Dmitrij Kapitelman kam mit seinen Eltern im Alter von acht Jahren nach Deutschland und lebte zunächst in Leipzig, später in München und Berlin. Um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, musste er in die Ukraine reisen, um einige Dokumente zu besorgen. Seine Erfahrungen hat er in „Eine Formalie in Kiew“ festgehalten. Kapitelmann stellte ernüchtert fest, dass man für eine Einbürgerung eigentlich nur nachweisen muss, dass man genügend Geld besitzt. Zudem sei der Prozess so angelegt, dass so viele Menschen wie möglichen diesen abbrechen würden. Ziemlich naiv sei er an die Reise in die Ukraine gegangen. Seine Familie und Freunde hätten ihm erklärt, dass in der Ukraine alles nur mit Hilfe von Korruption funktioniere. Er sei aber schon zu deutsch, um zu wissen, wie man auf ukrainisch schmiert.

Die Frage nach der Identität wird ihm oft gestellt und er berichtet von einer Entfremdung innerhalb seiner Familie. Er werde von seinen ukrainischen Eltern erst zum Deutschen gemacht, wenn die politischen Ansichten auseinandergingen. Sein Vater beende die Diskussion dann gern mit dem Ausspruch „du verstehst das nicht, weil du ein Deutscher bist“. Auf Nachfrage von Moderatorin Balteschev bezüglich des Krieges in der Ukraine antwortete, dass es ihn persönlich sehr belaste. Eigentlich dürfe er ja nicht traumatisiert sein, da er das Privileg habe, in Sicherheit zu leben. So einfach sei es dann eben doch nicht. Den aufkeimenden Nationalismus in der Ukraine beobachte er sehr genau. Für das Land und die Menschen sei es jetzt überlebenswichtig aber er frage sich, wie es nach dem Krieg weitergehen werde. Schon mit der Sprache beginne das Problem. Russisch sei seine Muttersprache, nicht Ukrainisch. Doch wohin mit seiner Muttersprache, die er liebe? Wie und wann dürfe er sie überhaupt sprechen? Er schäme sich regelrecht, Russisch zu sprechen und hätte beinahe neue Bekanntschaften verpasst, weil es dem Gegenüber genauso gehe.

Obwohl er das Wort Heimat in seinem Buch vermeide, fiele das Wort permanent, wenn er Besprechungen zu seinen Texten liest. Sein Buch sei zwar melancholisch, aber auch heiter. Er wolle trotz aller Katastrophen seinen Humor bewahren. Im Gegensatz zu seinen Eltern führe er viel mehr Kämpfe, weil er immer anders bliebe. Die Migration höre nie auf.


Dieser Beitrag ist meinem treuesten Leser gewidmet.

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