Erich Hackl „Drei tränenlose Geschichten“

Erich Hackl Erich Hackl erscheint mit einem neuen Buch und man kann sich sicher sein, dass die gewählten drei Geschichten wieder Menschen in den Vordergrund rücken, die von der Geschichtsschreibung vergessen wurden. Er nimmt sich auch dieses Mal als Erzähler zurück, lässt Fakten und Ereignisse sprechen. Ich werde aber das Gefühl nicht los, dass bei „Drei tränenlosen Geschichten“ die Rechercheergebnisse mit ihrer kühlen Distanz zum Sujet überwiegen. Frühere Bücher wie „Familie Salzmann“ oder „Als ob ein Engel“ haben mich noch mehr gefangen genommen. Nichtsdestotrotz habe ich auch dieses Buch mit Interesse gelesen. Handelt es doch von Hackls Themen, die immer wieder auftauchen und auch mich seit Jahren beschäftigen: antifaschistischer Widerstand und Exilerfahrungen. In einem Interview, was ich mit Erich Hackl im Februar 2014 geführt habe, erklärt er warum es gerade diese sind:

Weil sie mich lebensgeschichtlich geprägt haben. Und weil man von einer Geschichte zur nächsten kommt und dann schon dabei bleibt.“

Die Geschichte um die Familie Klagsbrunn schrieb Hackl 2013. Er skizziert darin das Leben von Marta und Victor Klagensbrunn: ihr Engagement im Brasilien während der Diktatur (Dabei habe ich viele Parallelen zu Bernado Kucinskis Roman „K. oder Die verschwundene Tochter“ entdeckt), ihre Flucht nach Chile, später dann nach Argentinien und Italien. Beide leben dann für einige Zeit in Deutschland, die Heimat von Victors Mutters. Die vor Jahren den umgekehrten Weg gegangen ist: Als Jüdin flüchtet sie aus Deutschland nach Brasilien. Die Gefühle und Gedanken von Marta und Victor stehen für so viele Exilierte im 20. Jahrhundert.

„Victor: Das Exil bringt noch andere Hindernisse. Ich kenne zum Beispiel Leute, die die Folter überlebt haben, und im Exil sind sie kaputt gegangen. Es ist nicht härter, aber dauerhafter. Das Wiedereingliedern in eine Gesellschaft ist ein langwieriger Prozeß. Man muß dabei mit Vorsicht vorgehen. Ich war nicht vorsichtig. Ich war in Eile. Ich kam mit vierzig. Es ist immer noch kompliziert. Man schweigt eher.

Marta: Das ständige Provisorium in unserem Leben hat Spuren hinterlassen. Wir sind jetzt in einem Alter, indem alle recht etabliert sind. Aber wir fühlen uns nicht so. Denn unser Leben war anders. Man hat sich immer nur kurze Ziele gesetzt. Man hatte ja auch nicht viel Zeit, um die eigenen Erfahrungen zu verarbeiten. Mein Selbstbildnis war lange geprägt durch das, was ich durchgemacht hatte. Für uns war klar: Es war richtig, im Widerstand gewesen zu sein.“

Wilhelm Brasse
Wilhelm Brasse

Der Fotograf von Ausschwitz ist ein Teil des großen Puzzles aus Einzelschicksalen während des Zweiten Weltkrieges. Es verbindet andere Teile miteinander, verknüpft Biografien und erklärt Zusammenhänge. Wilhelm Brasse schoss als Fotograf an die 40.000-50.ooo Bilder in Auschwitz. Immer im Auftrag der SS, offiziell wie privat. Dafür hungerte er nicht und konnte andere Leidensgenossen über Wasser halten. Welche Qualen auch er hinter seiner Kamera hatte, lässt sich nur erahnen:

„Es gibt ein Foto von Wilhelm Brasse, das  um die Welt gegangen ist. Alle kennen es, die sich auch nur oberflächlich mit Auschwitz und der Menschenvernichtung und Naziherrschaft beschäftigt haben. Es zeigt vier jüdische Mädchen, nackt, zum Skelett abgemagert, die uns aus großen Augen anblicken. Vier Dreizehnjährige, die kurz davor sind zu sterben und sich ihrer Blöße unendlich schämen, voreinander und vor dem, der sie durch die Kamera ansieht. Brasse sagt, er hat sich bemüht, ihnen diese Scham zu nehmen, die wie ein Vorwurf auf ihm lastet, er hat Abstand gehalten, um ihnen gerade dadurch nahe zu sein, er hat zärtlich zu ihnen gesprochen, ihnen ein Stück Brot zugestckt, das sie gierig ergriffen und verschlungen haben.
Das war der Moment, in dem ich Gott verflucht habe. Und meine Mutter, daß sie mich geboren hat. Es war vor allem dieses Bild, das ihm nach der Befreiung erschienen ist, sooft er durch den Sucher seiner Kamera geschaut hat. Bis er sie schließlich für immer weggeräumt hat.“

Gisele Tschofenig mit ihrem Sohn
Gisela Tschofenig mit ihrem Sohn

Die aus Österreich stammende Widerstandskämpferin Gisela Tschofenig bildet den Mittelpunkt der dritten Geschichte. Sie entschied sich für den Kampf, trotz Familie und Sohn, hielt unbeirrbar an ihrem Ideal fest – bis zur letzten Minute.

„Hinter den Häusern der Auwald, hinter dem Wald, unsichtbar, ein Nebenarm der Traun. Die Sackgasse retour bis knapp vor die Kremsmünsterer Straße. Den Blick heben, tränenlos lesen, was auf der Tafel steht. Gisela Tschoefenig (1917-1945), Gegnerin des NS-Regimes.“

Hackls Geschichten erinnern mich immer wieder daran mit wie viel Glück und Frieden wir ausgestattet sind, obwohl doch der Tod und die Trauer oft nicht sehr weit sind. Mit seinem unermüdlichen Recherchieren, Nachfragen und Hinterfragen gibt er uns Einblicke in das Leben unter extremen Bedingungen. Zeigt aber auch wie sehr der Mensch an einem Ideal, an der Gerechtigkeit festhalten kann – über den Tod hinaus.

______________

Erich Hackl „Drei tränenlose Geschichten“
Diogenes Verlag, Zürich 2014

Mehr zu Erich Hackl auf glasperlenspiel13

Erich Hackl: Familie Salzmann
Erich Hackl: Dieses Buch gehört meiner Mutter
Im Gespräch mit Erich Hackl

7 Kommentare

  1. Kommt umgehend auf meine Leseliste! Ich habe schon ein paar der Hackl´schen Bücher gelesen, die immer sehr erschütternd sind, kaum auszuhalten manchmal. Aber auch aufrüttelnd, die Erinnerung wach haltend,weil er sich der Geschichten einzelner annimmt und so die Grauenhaftigkeit und Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind, immer wieder darstellt.
    Vielen Grüße, Claudia

    Like

    1. Liebe Claudia,

      sehr schön! Ich glaube von Hackl habe ich mittlerweile alles, was er bis jetzt veröffentlicht hat. Seine Art zu Schreiben ist schon besonders und du hast seine Intention gut zusammengefasst. Schade, dass er vorwiegend in Österreich, seiner Heimat, Lesungen hält. Ich hätte ihn sehr gern einmal live erlebt.

      Herzliche Grüße von der Bücherliebhaberin

      Like

    1. Ach Saul,

      was gibt es zu Gott zu sagen? Meiner Meinung nach eine „Einrichtung“ der Menschen, um nicht selbst für sein Tun verantwortlich zu sein. Das bedeutet nicht, dass ich nicht glaube. Aber eben nicht an Gott, sondern an viel elementarere Dinge. Vielen Dank auch für den Link zu dem sehr interessanten Beitrag!

      saludos & hasta pronto
      la amante de los libros

      Like

  2. Schon lange wollte ich mal etwas von Erich Hackl lesen – Du hast ja mehr von ihm bei Dir vorgestellt. Danke dafür – ich denke, die tränenlosen Geschichten sind jetzt ein guter Einstieg. Thematisch für mich sowieso interessant, dank deiner Besprechung ab jetzt unerlässlich für mich.

    Like

Und was sagst du dazu ...?