Erich Hackl veröffentlicht ein neues Buch. Wie jedes Mal ist die Freude bei mir groß und ich danke dem Diogenes Verlag, dass sie mir wieder ein Exemplar zur Verfügung gestellt haben!
Doch sein neues Buch ist so ganz anders als ich es erwartet habe, denn dieses gehört seiner Mutter und das ist auch ganz wörtlich zu nehmen, da Hackl jene sprechen lässt. In den Nachbemerkungen gibt er dazu Auskunft:
„Ich wollte auch zeigen, wie es Menschen trotz Armut und Mühsal gelingt, sich über die fremdbestimmten wie selbstverschuldeten Verhältnisse zu erheben, für einen Moment oder länger. Mit List und Humor, oder aus Mitleid, auch mit sich selbst. Ich halte mich dabei an die Geschichten meiner Mutter, nehme mir aber die Freiheit, ihr Einsichten zu gestatten, die sie nicht auszudrücken vermochte oder zu denen sie nie gelangt ist. Die Freiheit, ihr mein Gewissen anzudichten. Ich habe dieses Buch, wenn man so will, mit ihr und nicht gegen sie geschrieben.“
Und so erfahren wir von einer Welt, die es heute wohl nicht mehr geben mag (zumindest nicht in der westlichen Welt), von einem abgelegenen Dorf namens Firhing im Mühlviertel (Oberösterreich), wo seine Mutter als Bauerntochter aufgewachsen ist. In dem raue Sitten und harte Arbeit das tägliche Brot waren, wo Frauen um ihre Unschuld bangen mussten und wo Armut und Tod zum Alltag gehörten. Erich Hackl bedient sich dabei einer – für ihn neuen – Form: Lyrik und Prosa in einem. Ungeschönt und ehrlich, direkt und einfach ist die Sprache, die seiner Mutter wahrscheinlich so am nähesten kommt:
Eine kleine Semmel kostete fünf Groschen.
Eine Rippe Schokolade zehn Groschen.
Vom Kirtag ein großer Sack Süßigkeiten
mit Schaumrolle und Kokoskuppeln eine Schilling
Ich hatte es gut: meine Mutter gab mir jeden Tag
eine halbe Semmel mit in die Schule.
Die Rauh Hedwig, die so schön singen konnte,
hatte nie mehr als ein hartes Scherzel in der Tasche.
Oft war es verschimmelt.
Die Fessl-Kinder legten die Brotscheiben übereinander
und wehe, die des anderen stand vor.
Beim Pum hatten sie achtzehn Kinder und eine große Not.
Auf ihrem Christbaum hingen nur Erdäpfelspeigen.
Es gab aber auch ganz besondere und einmalige Momente des Glücks: Die Zeit des Vorlesens oder die Tanzbälle im Dorf. Die Rolle der Frauen wird ganz klar herausgearbeitet, wie seine Mutter als Jugendliche, das erste Mal im großen Wien zum ersten Mal gesiezt wird. Wie sie Verhaltensformen von ihrer eigenen Mutter übernimmt; geprägt von der Angst etwas zu wagen. Die Geschichten von unehrenhaften Schwangerschaften, Vergewaltigungen ergänzen das teilweise sehr traurige Bild und Leben der Frau zur damaligen Zeit. Hackl gelingt es die einzelnen Themen (Bsp. Missbrauch, Krieg) nicht beim Namen zu nennen und nur durch Um- und Beschreibungen darzustellen. Es fordert daher einen aufmerksamen Leser, der sich die Zeit nimmt zwischen den Zeilen zu lesen, um die oben erwähnten „Einsichten“ zu erkennen.
Ein schmales Büchlein, in dem eine komplette Kindheit, eine Jugend steckt. Liebevoll und respektvoll von Hackl aufgezeichnet. Eine Hommage an seine Mutter mit deren Geschichten eine ganze eigene, längst vergessene Welt entsteht. Am Ende noch einmal Hackl:
„Mir ist dabei manches in ihrem, in meinem und im Dasein anderer klarer geworden. Auch deshalb gehört es ihr. Aber lesen mögen es andere.“
Diogenes Verlag, Zürich 2013
Liebe buechermaniac,
ja, du musst es lesen müssen ;). Ich hatte zwar mit etwas ganz anderem gerechnet aber auch dieser Form der Lektüre war sehr interessant! Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel Freude damit.
Liebe Grüße
Die Bücherliebhaberin
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Ich bin auch schon um das neue Buch von Hackl herumgeschlichen. Nach deinem Bericht werde ich es wohl auch noch lesen müssen :)
LG buechermaniac
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