Im Gespräch mit Erich Hackl

Mein erstes Buch von ihm war „Auroras Anlaß“ und den ersten Satz daraus werde ich nie vergessen: „Eines Tages sah sich Aurora Rodríguez veranlaßt, ihre Tochter zu töten.“ Seit dem bin ich gefangen von der Art und Weise seines Schreibens und seinen Inhalten. Ich bat Erich Hackl um ein Interview und mit großer Freude teile ich dieses heute mit Euch.

PORTRAIT OF ERICH HACKL
Erich Hackl © Pedro Timón Solinís

In ihren Erzählungen begegnen wir Menschen, die von der Geschichtsschreibung vergessen wurden. Sie geben ihnen mir ihren Büchern ein Gesicht zurück. Wie finden Sie diese Schicksale, von denen es so unendlich viele gibt oder finden mittlerweile die Lebensgeschichten den Weg zu Ihnen?

Erich Hackl: Auf die Geschichten stoße ich vermutlich aus einer Kombination von Interesse, Leidenschaft und Zufall. Ich interessiere mich, zum Beispiel, für den antifaschistischen Widerstand, betreibe dieses Interesse mit Leidenschaft, erwerbe mir dabei ein gewisses Wissen, und dann kommt mir noch der Zufall zu Hilfe. Das ergeht, glaube ich, allen so, die sich mit einer Sache besonders intensiv beschäftigen.

Diese Aufarbeitung ist nicht nur wichtig für uns als Leser, sondern auch für die jeweiligen Familienangehörigen und Freunde. Wie kann ich mir die Kommunikation mit diesen während der Recherche, während des Schreibens und auch danach vorstellen? Gibt es da Hemmungen oder Ängste? Sind Sie z.B. immer noch in Kontakt mit den Eltern von Gisela Tenenbaum aus „Als ob eine Engel“?

Erich Hackl: Hemmungen meinerseits zu Beginn, auf Menschen zu zugehen; die Befürchtung, sie könnten davor zurückschrecken, ihre Erinnerungen und Erfahrungen jemand Fremden anzuvertrauen. Aber es geht ja immer, oder fast immer, um Verfolgte oder Revolutionäre und deren Angehörige, die wie ich im individuellen Schicksal auch das Kollektive sehen, also etwas, das gesellschaftliches Interesse verdient. Aber natürlich kommt es vor, dass sich jemand meinem Anliegen versagt, und dann kann und will ich das Projekt nicht weiterverfolgen. Bei allen meinen Erzählungen und Berichten ist schon im Prozess der Recherche eine Vertrautheit zwischen meinen „Informanten“ und mir entstanden, die in Freundschaft gemündet ist, und diese Freundschaft dauert an. Im Fall Gisela Tenenbaum mit Gisis Eltern bzw. – seit dem Tod des Vaters Willi – mit ihrer Mutter Helga.

Bücher von Erich Hackl; erschienen im Diogenes Verlag
Bücher von Erich Hackl; erschienen im Diogenes Verlag

Ihr Erzählstil wird immer wieder als einzigartig beschrieben. Von „artistischer Sicherheit“, „lakonisch knapper Sprache“ und „unverwechselbarer Mischung aus Distanz und Nähe, Fiktion und Fakten – zusammengefügt aus vielstimmigen Fragmenten.“ ist da die Rede. Beim Lesen ihrer Bücher hatte ich über die Jahre das Gefühl, dass Sie diesen Stil perfektioniert haben. Mussten Sie sich diese Art zu schreiben aneignen oder ist das ihr natürlicher Schreibduktus?

Erich Hackl: Aneignen insofern, als Sprache und Stil immer abhängig ist vom jeweiligen Sujet, auch der Quellenlage etc. Dazu kommt, dass dokumentarisches Schreiben meiner Meinung nach erfordert, sich selbst zurückzunehmen, um nicht den Blick auf die Geschichten und ihre Personen zu verstellen. Auch, weil ich mir Fiktionen möglichst versagen muss. Ich will ja nichts erfinden.

Über Sie liest man: „Erich Hackl als besessener Rechercheur und Grenzgänger zwischen Literatur und literarisch-historischer Reportage“ – „als uneitler Chronist“. Das ist ja nur die eine Seite, die Fremdwahrnehmung, wie nehmen sie sich selbst diesbezüglich wahr?

Erich Hackl: Ich nehme mich wahr als einen, der wochen- und monatelang nicht weiterkommt bei dem, was ihn beschäftigt. Wahrscheinlich braucht es dieses Unvermögen, aber es beunruhigt mich jedesmal aufs neue.

Mit „König Wamba“ oder „Dieses Buch gehört meiner Mutter“ gehen Sie nicht nur inhaltlich, sondern auch formal andere Wege. Das erst genannte Buch ist ein Märchen mit Illustrationen von Paul Flora und das Letztere ist eine sehr persönliche Hommage an Ihrer Mutter aber in einer Mischung aus Prosa und Lyrik. Sind das Anzeichen für ein Ausbrechen aus allzu bekannten Schreibstrukturen?

Erich Hackl: Ich glaube nicht. Das Wenige, das in der Geschichtsschreibung über den historischen Westgotenkönig Wamba (Wamba I.) aufzufinden ist, ist in das Märchen eingeflossen; die großen Lücken – und auch die Tatsache, dass er vor so langer Zeit gelebt hat – haben es mir erlaubt, den Rest zu erfinden. Beim Buch meiner Mutter bin ich nach langem Hin und Her zur Auffassung gelangt, dass ihre Erinnerungen so, in einer Art Prosagedichtzyklus, am besten darzustellen wären. Es ist im Grunde nicht gar so verschieden von einer früheren Erzählung, der „Hochzeit von Auschwitz“, die sich in Stimmen mitteilt, in der ich sogar den toten Rudi Friemel sprechen lasse.

Ihren großen Themen bleiben Sie treu: Diktaturen in Lateinamerika, Spanischer Bürgerkrieg, das dritte Reich. Warum gerade diese?

Erich Hackl: Weil sie mich lebensgeschichtlich geprägt haben. Und weil man von einer Geschichte zur nächsten kommt und dann schon dabei bleibt.

Im März erscheint Ihr neues Buch „Drei Tränenlose Geschichten“. Können Sie meinen Lesern vorab schon verraten, wer dieses Mal im Mittelpunkt der Geschichte steht und wie sie diese gefunden haben?

Erich Hackl: Drei Geschichten, die längste, über die Familie Klagsbrunn, die in Floridsdorf ihren Ausgang nimmt und auf die ich in Rio de Janeiro gestoßen bin. Die zweitlängste über die österreichische Widerstandskämpferin Gisela Tschofenig, die im KZ Dachau geheiratet hat, die kürzeste über meine Begegnung mit dem polnisch-österreichischen Fotografen Wilhelm Brasse, der als Häftling das Hochzeitsfoto von Rudi Friemel und Marga Ferrer gemacht hat („Die Hochzeit von Auschwitz“). Letztere zeigt, dass das, was ich schreibe, manchmal einer Fortsetzung bedarf, dass die Geschichten fortdauern, über ihre Veröffentlichung hinaus.

Vielen herzlichen Dank Herr Hackl für dieses Gespräch!

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6 Kommentare

  1. Liebe buechermaniac,

    ja ich glaube auch wir haben uns gefunden :)) Ich denke, wir begeistern uns nicht nur für seine Schreibweise, es sind vor allem seine Themen, die bewegen und einen nicht gleich wieder loslassen

    Hackl muss man einfach lesen!

    Liebe Grüße von der Bücherliebhaberin

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  2. Ein sehr interessantes Interview, liebe Bücherliebhaberin. Erich Hackls Bücher und seine Art zu schreiben mag ich auch sehr. Es scheint so, als gäbe es bei uns immer wieder Parallelen mit bevorzugten Autoren ;)

    LG buechermaniac

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