Fernando Aramburu: Patria – eine Begegnung in Berlin

Ende 2017 erreichte mich eine ganz besondere Einladung. Der Rowohlt Verlag lud mich nach Berlin zu einem Abend bei der Lektorin Margit Knapp ein. Zugegen sein sollte der baskische Schriftsteller Fernando Aramburu, dessen neuesten Roman „Patria“ ich bereits angefangen hatte zu lesen.

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Im kleinen Kreis bekamen wir im Januar das Buch von Verlegerin Barbara Laugwitz und Margit Knapp vorgestellt. Margit Knapp, die für das romanische Programm im Verlag verantwortlich ist, las das spanische Original aus rein persönlichem Interesse und war sich damals sofort im Klaren darüber, dass der Rowohlt Verlag dieses Buch unbedingt machen sollte. Eine richtige Entscheidung. Ich bin keine Bestseller-Leserin aber ich muss dem einhelligen spanischen Presseecho Recht geben: Das Buch ist seit Jahren das beste was ich gelesen habe.

Aramburu siedelt den ETA-Terrorismus im Spanien der 70er Jahre in einen kleinem baskischen Dorf nahe San Sebastians an und zeigt auf, warum sich vor allem gerade junge Menschen der Organisation anschlossen. Anhand zweier ehemals befreundeten Familien erleben die Leser die Abgründe von sinnloser Gewalt, Tot und wie Propaganda Familien und Freunde auseinander bringen kann. Ich will mich gar nicht mit einer langen Darstellung der Handlung aufhalten, da diese sehr verschlungene Wege nimmt. Geprägt ist die Geschichte von zwei sehr starken weiblichen Charakteren: Miren und Bittori. Letztere verlor ihren Mann bei einem ETA-Attentat und Mirens Sohn sitzt seit Jahren im spanischen Gefängnis aufgrund seiner ETA-Mitgliedschaft. Ehemals beste Freundinnen werden durch die Ereignisse im Baskenland zu Feindinnen.

Bittori möchte Jahre nach der Tat vor allem eins: Wissen, wer ihren Mann umgebracht hat und dafür begibt sie sich wieder in ihr altes Haus, aus dem sie damals Richtung San Sebastian floh. Nicht nur ihre eigenen Kinder kritisieren sie für diesen Schritt, sondern vor allem die gesamte Dorfgemeinschaft, zu der sie einst gehörte, stellt sich ihr mit wenigen Ausnahmen entgegen. Was mich besonders getroffen hat, war die Tatsache, dass aus Opfern während des Friedensprozesses plötzlich „Täter“ werden. Das ist keine Fiktion, das ist eine grausame Realität:

So hat er zu mir gesagt. Ich solle nicht mehr ins Dorf kommen, um den Friedensprozess nicht zu stören. Da siehst du es: Die Opfer stören jetzt. Sie wollen uns mit dem Besen unter den Teppich kehren. Dass man uns bloß nicht sieht. Und wenn wir aus dem öffentlichen Leben verschwunden sind und sie ihre Gefangenen wieder frei haben, dann ist das der Friede, alle sind glücklich, nix passiert.

Die Erzählperspektiven und Zeiten wechseln oft, erzeugen so aber ein vielschichtiges Panorama der baskischen Gesellschaft jener Zeit. Aramburus Sprache ist klar, direkt und schnörkellos. Trotzdem gelingt es ihm den Leser emotional zu erreichen und ihn für die verschiedenen Denkansätze und Meinungen zu sensibilisieren. Der Roman versprüht eine ungeheure Authentizität schon allein deshalb weil er viele baskische Begriffe und Wörter verwendet, die nicht übersetzt werden. Isabella von novellieren hat sich die Mühe gemacht und ein Glossar erstellt.

„Die Basken haben den Sex im Gaumen“

An dem Abend lernte ich natürlich auch den Autor selbst kennen. Überrascht hat mich zunächst das exzellente Deutsch Aramburus. Kein Wunder, lebt er doch seit den 80er Jahren mit seiner Familie, die ihn an diesem Abend begleitete, in Hannover. Ich tauschte mich mit ihm auch über das Baskenland im allgemeinen aus, verbrachte ich doch ein Jahr während meines Studiums in der Hauptstadt des Baskenlandes: in Vitoria-Gasteiz. Sein Kommentar dazu: „Vitoria hat man zur Hauptstadt gewählt, damit sie wenigstens ein bisschen baskisch ist.“ Baskische Spezialitäten, an die auch ich mich gern zurückerinnere, konnten die Gäste an diesem Abend ebenfalls genießen. Pintxos, so werden die baskischen Tapas genannt, gab es in reicher Auswahl und Aramburu bestätigte schmunzelnd: „Die Basken haben den Sex im Gaumen“.

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Er sei noch sehr oft in der Heimat und er wird natürlich auch auf der Straße angesprochen, was in ihm ein Gefühl von Zugehörigkeit erzeuge. Sein Roman führte in Spanien mehrere Wochen die Bestseller-Listen an. Er hat eine Debatte entfacht, die zeigt, dass die Jahre des ETA-Terrors noch nachwirken. Hinsichtlich der Akzeptanz im Baskenland selbst, zeigte sich Aramburu zufrieden, da die Basken sein Buch angenommen hätten. Natürlich gab es auch negative Rückmeldungen aber für ihn sei dies vielmehr eine Ehre, da es eine Diskussion ausgelöst hat.

Am Strand von San Sebastian unterhält sich Aramburu mit Dennis Scheck über Nationalismus, den aktuellen Konflikt in Katalonien und warum er in Deutschland lebt. Sehenswert.

Seine 91jährige Mutter sei glücklich, erklärte er auf meine Frage, wie seine Eltern mit dem Erfolg umgingen. Sie habe alle seine Bücher und natürlich auch den aktuellen Roman gelesen und Aramburu bedauerte es sehr, dass sein Vater nicht mehr lebt. Dieser wäre ganz sicher stolz auf seinen berühmten Sohn gewesen.

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Fernando Aramburu: Patria
übersetzt von Willi Zurbrüggen
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018

 

Mehr Beiträge zum Baskenland, dem Konflikt und der Geschichte findet ihr hier:

Raul Zelik: Der bewaffnete Freund
Die Geschichte des Baskenlandes und der ETA
Baskische Literatur
Baskische Bibliothek – Zubiak

 

3 Kommentare

  1. Huhu!

    Das klingt in der Tat nach einer ganz besonderen Einladung! Ich muss gestehen, dass ich das Buch noch nicht gelesen habe, aber mir ist klar, dass ich da wohl etwas verpasst habe und es nachholen sollte. Überhaupt ist baskische Literatur für mich noch eine sträfliche Lücke.

    Leider hört man ja immer wieder, dass Opfer „stören“, dass man sie am liebsten totschweigen oder zumindest woanders wissen will.

    LG,
    Mikka

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    1. Liebe Mikka,

      ja, das Buch lege ich dir sehr ans Herz. Baskische Literatur auf Deutsch ist wahrlich eine Nische. Aramburu hat das Original aber auch Spansich geschrieben, so war eine Übersetzung ins Deutsche natürlich wesentlich einfacher. Ich wünsche dir eine interessante Lektüre!
      Liebe Grüße zurück

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