Verlagsgeschichte im Fokus – Kiepenheuer & Witsch

Welch schöner Zufall (?). Meine Reihe zu den Blogs der Buchbranche im Portrait begann ich damals mit dem Kiepenheuer & Witsch Verlag aus Köln. Ein wunderbarer Besuch beim Verlag und ein interessantes Gespräch mit Helge Malchow, dem aktuellen Verleger, gingen dem Beitrag voraus. Und nun startet auch diese Reihe – Verlagsgeschichte im Fokus – mit KiWi.

Frank Möller: Dem Glücksrad in die Speichen greifen

Warum sich durch einen Wälzer arbeiten, der sich mit Verlagsgeschichte beschäftigt? Es mag verrückt klingen aber die Historie eines Verlages kann so spannend wie ein Krimi sein. Soeben habe ich „Dem Glücksrad in die Speichen greifen“ beendet und bin gefangen. Mir wurde nicht nur ein immenser Wissensschatz nahe gelegt, sondern ich wurde auch richtig gut unterhalten. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist der Fall Salinger. Sein Klassiker „Fänger im Roggen“ war bis zur Jahrtausendwende im deutschsprachigen Raum nur in einer unzureichenden, ja sogar schlechten Übersetzung von Heinrich Böll erhältlich. Seine Übertragung aus dem Englischen wurde von verschiedenen Seiten „grobe Nachlässigkeiten, teilweise sogar sinnentstellende Fehler“ attestiert, ja man sprach in Bezug auf die Qualität sogar von „einer Kopie einer Kopie einer Kopie“. Möller führt die Gegebenheiten im Buch natürlich noch detaillierter aus.

Ich erfahre weiterhin, wie die einzelnen Autoren mit ihren Manuskripten zu Joseph Casper Witsch und seinem Verlag gelangt sind, welche wichtige Rolle den Übersetzern zukam, wie um Lizenzen gerungen, wie um Vorschüsse gefeilscht wurde und wie man Konkurrenten ein Schnippchen geschlagen hat. Möller erzählt dies alles in verständlicher Sprache, so dass die Lektüre zu einem Vergnügen wird. Skandale, kleinere und von größerem Ausmaß werden beleuchtet, manch einen der porträtierten Schriftsteller lernt man von einer völlig neuen Seite kennen und längst vergessene Werke werden aus dem Verlagsarchiv hervor geholt.

„Dem Glücksrad in die Speichen greifen“ ist Teil 2 einer zweibändigen Ausgabe über Verleger und Verlag. Teil 1 „Das Buch Witsch. Das schwindelerregende Leben des Verlegers Joseph Caspar Witsch. Eine Biografie“ erschien bereits 2014. Im zweiten vorliegenden Teil stehen vor allem die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg im Zentrum und natürlich der Verleger selbst.

Joseph Casper Witsch sah sich in erster Linie als politischen Verleger, einer der den Klassenkampf während des Kalten Krieges mit Haut und Haaren lebte. Er verfolgte eine antikommunistische Linie und ein Zurückweichen vor dem Gegner kam für ihn nicht in Frage. Er unterstützte ostdeutsche Schriftsteller, denen es gelungen war aus der DDR zu fliehen. Unter ihnen war u.a. auch der gebürtige sächsische Autor Gerhard Zwerenz.

Die Kiepe | ©Archiv Kiepenheuer & Witsch

Ein wichtiges Instrument im Verlag war die hauseigene Zeitschrift: Die Kiepe. Sie erschien 1953, wenige Jahre nach der Umfirmierung des Verlages, zum ersten Mal. Für Witsch ein perfektes Medium die eigene Autoren immer wieder prominent zu platzieren.

Der literarische Schwerpunkt in den 50er und 60er Jahren war die damalige zeitgenössische englischsprachige Literatur. Autoren wie Saul Bellow, Bernand Malamud und Jerome D. Salinger sind da zu nennen. Überhaupt hatte Witsch in den Anfangsjahren eher die westliche Hemisphäre im Blick. Ein weiteres wichtiges Anliegen war ihm, die Literatur der Exilierten dem deutschen Publikum wieder zugänglich zu machen. So ist es Witsch zu verdanken, dass uns das komplette Werk von Joseph Roth heute noch vorliegt. Ebenso hat er sich um das literarische Schicksal von Hermann Kesten und René Schickele verdient gemacht. Möller gibt aber auch zu bedenken:

„Auffallen muss, dass Witsch von Büchern aus den Migrantenkreisen vorwiegend auf solche setzte, die bereits in der Weimarer Republik erschienen waren. [..] Ruft man sich die überaus reservierte persönliche Auseinandersetzung Witschs mit dem Nationalsozialismus in Erinnerung (»ungeschehen« zu machen.“

Nicht nur für exilierte Schriftsteller machte er sich stark, er hatte vor allem Sympathien für Autoren, die während des Nationalsozialismus geblieben sind – wie er selbst auch. In erster Linie sind das Erich Kästner und Ricarda Huch. Jedoch entfremdeten sich Kästner und Witsch aufgrund von politischen Differenzen schon relativ früh: „Kästner war ein entschiedener Gegner der atomaren Aufrüstung und hatte sich auch empört gegen die Verhaftungen und Durchsuchungen im Rahmen der »Spiegel«-Affäre gewandt.“ Umso mehr fühlte sich Witsch der Autorin Ricarda Huch verbunden. Ja er kam richtig ins Schwärmen. Sie, „die mit uns und unter uns lebte in den Jahren, in denen das Verhängnis beinah atmosphärisch spürbar war und sich auch dem optimistischen und lebensmutigsten Blick nur düstere Perspektiven, Aussichtslosigkeiten und Verzweiflung zeigten. Sie ist nicht in ihre zweite Heimat, die Schweiz gegangen, sie hat uns nicht allein gelassen.“

„Dem Glücksrad in die Speichen greifen“ ist mehr als nur reine Verlagsgeschichte. Das Buch zeigt sehr genau die Spielregeln der Branche auf. So skizziert Möller die damaligen Entwicklungen rund um das Thema Lizenzen sehr genau. Ein berühmtes Beispiel: Witsch verpasste damals um ein Haar die Rechte an den Werken Erich Maria Remarques. Die sich daran anschließende Causa wird im Buch ausführlich behandelt, vor allem aber die zensorischen Eingriffe Witschs in das schriftstellerische Werk. In Deutschland schien es wohl eine  „vertraute Praxis, das Skript den vom Verleger antizipierten Marktbedingungen anzupassen.“ Witsch änderte in Remarques Roman „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ nicht nur auf sachlicher Ebene, sondern korrigierte ganze Absätze inhaltlich. Der Romanstoff war durchaus brisant, thematisierte er doch die deutschen Verbrechen in den besetzten Gebieten. Für viele Deutsche wurde Remarque dadurch zum Nestbeschmutzer. Erst 1989 erschien eine unzensierte Neuauflage bei Kiepenheuer & Witsch.

Die erste literarische lateinamerikanische Entdeckung Witschs war der Brasilianer João Guimarães Rosa. Die beiden lernten sich auf der Buchmesse in Frankfurt kennen und waren sich sofort sympathisch. Witsch bewies Mut und verlegte Rosas Epos „Grande Sertão“ zu einer Zeit in der die wenigsten Kritiker mit dem besonderen Stil des Romans umzugehen wussten. Unter Witschs Nachfolger konnte 1968 der wohl erfolgreichste lateinamerikanische Autor an den Verlag gebunden werden: Gabriel José García Márquez. Unter den fremdsprachigen Schriftstellern hat der kolumbianische Autor die höchsten Verkaufszahlen erreicht. Von dem Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“ wurden bis zum April 2012 950.000 Exemplare in verschiedenen Ausgaben verkauft.

Zeitgenössische Schriftsteller waren im Verlagsprogramm unter Witsch nur wenige zu finden. Auch weil Witsch einen großen Bogen um die Gruppe 47 machte. Aber ein Autor ist zu nennen, der wohl wie kein zweiter mit dem Verlag verbunden war: Heinrich Böll. Er arbeitete nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Übersetzer für den Verlag. Sein   komplettes Werk ist bis heute als 27bändige Werkausgabe (»Kölner Ausgabe«) beim Verlag erhältlich.

verleger-der-gruppe-der-neunzehn-in-den-50er-bei-einem-treffen-in-berlin-unmittelbar-hinter-witsch-scherzen-peter-suhrkamp-und-heimrich-maria-ledig-rowohlt_archiv-kiepenheuer-witsch
Verleger der Gruppe der Neunzehn in den 50er bei einem Treffen in Berlin. Unmittelbar hinter Witsch scherzen Peter Suhrkamp und Heinrich Maria Ledig-Rowohlt | ©Archiv Kiepenheuer & Witsch

Selbstverständlich sind das alles nur wenige Einblicke und Eindrücke, die aber neugierig machen sollen auf eine Zeit, die höchst belebt war und in der im Literaturbetrieb viel geschehen ist. Frank Möller ist es gelungen mit seinem Buch den Verlag und den Verleger in die Verlagswelt der deutschen Nachkriegszeit einzuordnen. Knapp 100 Seiten allein umfassen die Anmerkungen zu Geschehnissen und Persönlichkeiten, weitere neun Seiten das Literaturarchiv und im 17 seitigen Personenregister findet man als Leser weitere Orientierung. Mit zahlreichen Beispielen aus der Korrespondenz Witschs, u.a. mit dem Schriftsteller Ernst Toller und v. Cramer, bringt uns der Autor die Verlegerlegende mit all seinen Schwächen und Stärken nahe.

Witsch war stets um die deutsche Literatur bemüht aber auch bestrebt ausländische Autoren dem deutschen Publikum näher zu bringen. Witsch äußerte sich selbst zum Selbstverständnis eines Verlegers:

„Der Verleger muß, wie die Helden Trojas, auf der Mauer stehen, seine Feinde schmähen und seine Freunde lieben. Er muß beides kräftig und ohne Vorbehalte tun. Seine Freunde trösten ihn, wenn es ihm not tut, und seine Feinde sorgen dafür, daß er im Gespräch bleibt, er und seine Bücher.“

Erst vor wenigen Tagen informierte der Verlag darüber, dass demnächst eine KiWi-Bibliothek an den Start geht. Diese beinhaltet wichtige und lesenswerte Bücher, die die Verlagsgeschichte geprägt haben. Zunächst werden 20 Sachbücher und Romane als ebook und erscheinen.

Kiepenheuer & Witsch stellt auf seiner Website eine sehr detaillierte Chronik  und eine Verlagsgeschichte zur Verfügung.

_____________________________
Frank Möller: Dem Glücksrad in die Speichen greifen
Joseph Caspar Witsch, seine Autoren sein Verlagsprogramm und
der Literaturbetrieb der frühen Bundesrepublik
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015

7 Kommentare

  1. Danke für den Tipp. Ich hoffe, das Buch einmal durchblättern zu können. Darf Deine Leserschaft darauf hoffen, hier demnächst eine Buchsprechung zu der interessanten Empfehlung zu finden?
    Zum ausgiebigen Studium finde ich derzeit kaum die Muße. Mit zwei Freiwilligen habe ich heute als Koordinator unsere Deutsch Sprechstunde bestritten mit acht arabisch-, persisch- und oromosprachigen Teilnehmern in der Gemeinschaftsunterkunft. Diejenigen unter ihnen, die bereits einen Aufenthaltstitel bekommen haben und Schritt für Schritt in der hiesigen Gesellschaft, Lern- und Arbeitswelt ankommen, äußern immer wieder Dankbarkeit und auch Wohlbefinden. Kürzlich sagte ein Tunesier, der wiederum bereits seit 30 Jahren hier lebt und eingebürgert ist, er empfinde die Situation als „Paradies“. Andere, die im Anerkennungsverfahren sind und oder erfolglos bleiben, mögen ihre Lage als „Hölle“ beschreiben. Zwischen diesen Gefühlspolen wollen wir freundliche Kontakte, Begegnungen und Alltagserfahrungen ermöglichen.
    Die ältere Exilliteratur mag ebenso wie die zeitgenössische migrantische Literatur dazu helfen, diese Lebenserfahrungen auszudrücken oder an ihnen teilzuhaben.

    Gefällt 1 Person

    1. Totgesagte leben länger.

      Wie froh ich bin, dass ich mich auf meine geschätzten Bloggerkollegen verlassen kann. Sie haben dieses wilde Gerücht sofort im Keim erstickt…

      Gefällt 1 Person

  2. Danke für die interessante Besprechung und Geschichte.
    Hermann Kesten war vor 33 Lektor bei Kiepenheuer in Berlin gewesen, emigriert in die Niederlande und USA, später in Rom, New York, München, Paris und Basel. 1972 PEN-Präsident. Unter vielen Auszeichnungen die Ehrenbürgerschaft der Stadt Nürnberg. Seine Romane mag ich, seine literarischen Essays liebe ich. „Dichter im Café“ oder „Revolutionäre mit Geduld“ und andere. Sie speisten sich aus dem Liebhaben der Bücher ebenso wie aus unzähligen persönlichen Begegnungen.

    Gefällt 1 Person

    1. Vielen Dank für deinen bereichernden Kommentar. Soeben lese ich „Hölle und Paradies – Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur“ von Bettina Baltschev. Auch hier begegnet uns Herr Kesten, als Verlagsmitarbeiter bei Allert de Lange. Das Buch kann ich dir nur sehr empfehlen.

      Gefällt 1 Person

Und was sagst du dazu ...?