Else Lasker-Schüler: Die kreisende Weltfabrik

„Ich schreibe so selten über Bücher oder Städte, durch die ich spaziere und die einladen zu bleiben. Bücher bedeuten für mich Städte, Städte Bücher, leere und lebensreiche. Und da das Buch mir eine ganze Stadt entfalten kann, mit Straßen und Läden und Menschen, die vor ihrem Schaufenster stehenbleiben, genügt mir schon das Buchhändlerlexikon mit der Anzeige neuerschienener Bücher. Genau wie die Stadt veranlasst oft das Buch noch zu bleiben, alle seine mannigfachen Seiten zu durchstreifen.“

Bevor ich mich inhaltlich diesem Buch nähere, muss ich dem Transit Verlag für die wunderschöne Ausgabe meine Anerkennung zollen. Atmosphärische Schwarz Weiß Fotos aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts und ein hoch interessantes Nachwort von Heidrun Loeper, selbst Autorin und Literaturwissenschaftlerin, die die Texte zeit- und literaturgeschichtlich einordnet, runden diese Prosasammlung von Else Lasker-Schüler ab. Die jüdische Autorin schreibt über Begebenheiten, Beobachtungen und Eindrücke aus ihrem Berliner Leben in den 10er und 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Eine Stadt, die damals wie heute Anziehungspunkt für Menschen unterschiedlichster Couleur ist.

Unter anderem schildert sie einen Zirkusbesuch, einen sehr liebevollen und tragischen Text widmet sie ihrem geliebten aber früh verstorbenen Sohn Paul Lasker-Schüler und bekundet in verschiedenen Briefen ihre Meinung zu tagesaktuellen Problemen. Eine herrliche Anekdote beschreibt sie in „Unser Café!“

„Sire, Sie möchten etwas aus unserem Café wissen, aber unser Café ist schon seit ungefähr Pfingsten nicht mehr unser Café. […] Früher war das Stelldichein all dieser Radikalen das Café Größenwahn. Aber eines Tages verbot der Besitzer der Dichterin Else Lasker-Schüler, die zu diesem Kreise gehört, das Lokal, weil sie nicht genug verzehre. Man denke! Ist denn eine Dichterin, die viel verzehrt, überhaupt noch ein Dichterin? Sie empfand das mit Recht als eine unerhörte Beleidigung, als schimpfliches Misstrauen gegenüber ihrer dichterhaften Echtheit. Ebenso dachten die anderen. Daher verließen sie empört das Lokal.“

Besonders auffallend finde ich ihre außergewöhnliche Sprache, gespickt von Formulierungen, die farbenreiche Bilder vor dem geistigen Auge entstehen lassen. Zwei Beispiele: Der Tag vor dem Geburtstag wird als „der Vorabend eines Wiegenfestes“ bezeichnet und die berührende Beschreibung von Möwen: „Die Möwen vom Zürchersee schreiben mir so sehnsüchtige Briefe und ich sehne mich nach den weißen Vögel, schreiender Schnee, wilde Bräute der Nordsee, weichgefiederte Abenteuerinnen.“

Else Lasker-Schüler gelangt mit 25 Jahren durch die Vermählung mit dem Arzt Bertold Lasker nach Berlin. Dort mietet ihr Mann ein Atelier, damit sie ihre künstlerische Ader entsprechend entfalten kann. Sie nimmt zusätzlich Unterricht bei einem Maler und studiert des weiteren die Fotografie. Durch verschiedene Abendgesellschaften lernt sie viele angehende und bereits bekannte Schriftsteller kennen, wie den österreichischen Autor Karl Kraus, den sie verehrt:

„Seine dichterische Strategie sind Strophen feinster Abschätzung. Ein gütiger Pater mit Pranken, ein großer Kater, gestiefelte Papstfüße, die den Kuß erwarten. Manchmal nimmt sein Gesicht die Katzenform eines Dalai-Lama an, dann weht plötzlich eine Kühle über den Raum – Allerleifurcht. Die große chinesische Mauer trennt ihn von den Anwesenden. Seine chinesische Mauer, ein historisches Wortgemälde, o, plastischer noch, denn alle seine Werke treten hervor, Reliefs in der Haut des Vorgangs.“

Vieles ließe sich noch zu dieser beeindruckenden Frau und Autorin schreiben. Dies soll zunächst nur ein kleiner Eindruck für die sein, die sich mit Lasker-Schüler noch gar nicht beschäftigt haben – zu komplex ist das Universum der Schriftstellerin, um es hier komplett abzubilden. Wer Näheres über ihre Berliner Zeit, ihr Leben und Schaffen erfahren möchte, findet hier einen sehr interessanten und ausführlichen Artikel.

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Else Lasker-Schüler: Die kreisende Weltfabrik
Transit Verlag, Berlin 2012

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