Literaturkreis beschäftigt sich mit Marcel Reich-Ranicki

Der kleine aber feine Literaturkreis, der sich in den letzten Wochen mit der Autobiografie „Mein Leben“ von Marcel Reich-Ranicki beschäftigt hat, tagte einmal mehr. Hat uns das letzte Treffen mit Christa Wolf noch politisiert, so emotionalisierte uns die Lektüre von R.-R. dieses Mal. Ich war zunächst sehr skeptisch, hatte ich doch einige Vorurteile gegen den so berühmten Kritiker. Als ich ihn vor drei Jahren live in Frankfurt sah, empfand ich sein Auftreten als eitel und teilweise nicht angenehm. Mit seiner Autobiografie wurde ich eines Besseren belehrt.

Einstimmig waren wir der Meinung, dass uns R.-R. mit seiner Schreibe und Leichtigkeit begeistert hat. Man spürt förmlich in jedem Absatz seine Leidenschaft für die Literatur, die auch den Leser nicht unberührt lässt. Seine für das Publikum leicht verständliche Sprache ist seiner Meinung nach auch das Erfolgsrezept: Er hat sich mit seinen Schriften immer an die Leserschaft gerichtet und nicht an die eigene Zunft. Überrascht war ich über sein wirklich abenteuerliches Leben. In dieser Vielschichtigkeit und Tragik war es mir gar nicht bewusst. Er floh zusammen mit seiner Frau Teophila aus dem Warschauer Ghetto, kurz vor der Deportation und beide überlebten die letzten Kriegsjahre – nur mit Hilfe eines polnischen Paares – im Untergrund von Hunger und Angst gezeichnet. Nach enttäuschenden Jahren im sozialistischen Polen floh er abermals; dieses Mal in die Bundesrepublik Deutschland. Dort schaffte er es innerhalb weniger Jahre zu einem anerkannten Kritiker für deutsche Literatur zu werden – sein Lebenstraum. In dieser Funktion traf er viele bekannte Schriftsteller und Zeitgenossen wie Günter Grass, Elias Canetti, Heinrich Böll und Max Frisch. Einer Tatsache wird er sich aber schnell bewusst:

„daß es zwischen Autor und einem Kritiker Frieden oder gar Freundschaft nur dann geben kann, wenn der Kritiker niemals über die Bücher dieses Autors schreibt, und wenn dieser sich damit ein für allemal abfindet.“

An einigen Stellen kamen jedoch auch Fragezeichen auf. So nimmt er eindeutig Partei für Gustav Gründgens. Einer der wichtigsten und bekanntesten deutschen Schauspieler, der von Hermann Göring während des Nationalsozialismus protegiert wurde. Noch sehr gut habe ich den Roman von Klaus Mann „Mephisto“ im Kopf. In diesem dekonstruiert der ehemalige Schwager (von 1926-1929 war Gründgens mit Erika Mann verheiratet) den Mensch und die Figur Gründgens Stück für Stück; eben aufgrund seines Opportunismus.

Gestolpert sind wir alle drei bei der Lektüre über seine flüchtigen Affären mit der Frage: Musste das unbedingt mit ins Buch? Auch im Hinblick auf seine langjährige Gefährtin Teophila. Eine interessante Diskussion zu heutigen Beziehungen, Scheidungskinder und die Ehe begann.

Fazit: „Mein Leben“ von Marcel Reich-Ranicki ist ein Stück Zeitgeschichte in deren Zentrum die Liebe zur Literatur steht. Eine Liebe, die ihm mehr als einmal das Leben gerettet hat und mit der er seinen größten Traum verwirklichen konnte. Für alle, die das geschriebene Wort ebenso lieben, ist dieses Buch ein Geschenk!

Die Autobiografie wurde 2009 mit Matthias Schweighöfer verfilmt.

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Marcel Reich-Ranicki „Mein Leben“
DVA 1999

12 Kommentare

  1. Liebe N.,

    herzlich Willkommen auf glasperlenspiel13. Schön, dass Du zu mir gefunden hast. Hab mich auch gleich mal auf http://www.urwort.com umgeschaut. Ein schönes Blog!

    Ja, ich bin froh, dass ich mich ihm trotz meiner Vorurteile genähert habe. So habe ich einen wertvollen, literarischen Schatz entdeckt. Was hast Du denn noch von ihm gelesen?

    Liebe Grüße
    Die Bücherliebhaberin

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  2. Ich hatte das Glück in der Schule eine große Liebhaberin von Marcel Reich-Ranicki als Lehrerin gehabt zu haben, sodass ich schon früh auf ihn stieß und abermals lernte Vorurteile nicht zuzulassen und Zugang zu diesem Menschen zu finden.
    Ich bin erst kürzlich auf deinen Blog gestoßen und er gefällt mir sehr. Ich werde dir nun folgen:) Liebe Grüße, N.Shiraz von http://www.urwort.com

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  3. Liebe Kat,

    „Die Blendung“ musst du unbedingt zu Ende lesen! Lohnt sich auf jeden Fall: eine verrückte und zugleich bezeichnende Geschichte.
    Unser Lesekreis tagt nur nicht ganz so oft, daher erscheint nicht regelmäßig oder nur nach sehr langen Zeitabschnitten ein Beitrag dazu.
    Hans Fallada auf Englisch zu lesen. Ich weiß nicht…. Da er nun mal Deutscher war. Vielleicht ergibt sich doch in deiner näheren Umgebung eine Möglichkeit. Du könntest ja auch auf deinem Blog dazu aufrufen.

    Liebe Grüße & einen schönen Abend

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  4. LIebe Buchliebhaberin,

    oh Canetti. Gehoert auch auf meine Leseliste. Ich habe mal ein Buch angefangen, aber wie so of in letzter Zeit, ist es nur beim Anfangen geblieben. Der Roman heisst die Blendung und war zumindest am Anfang hoechst ironisch.

    Ich wuerde mich freuen, mehr von Eurem Buecherkreis zu lesen.

    Tatsaechlich koennte ich das mal anregen, aber ob es dann auch passieren wird. Naja, das sind ja immer zwei unterschiedliche Sachen. Heute habe ich aber gesehen, dass der Guardian einen Buchclub zu Hans Fallada anbietet und da hab ich tatsaechlich dran gedacht, mich anonym im Internet zu beteidigen. Auch weil ich das Buch einfach mal lesen wollte. Allerdings kann ich mir nur schwerlich vorstellen, es in Englisch zu lesen.

    Euch, in Eurem Lesekreis, viele vergnuegliche Lesestunden.

    Kat

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  5. Liebe buechermaniac,

    kauf dir diese Autobiografie unbedingt! Sie wird dir gefallen. Den Film will ich auch noch sehen. Der Trailer hat mir zumindest sehr gut gefallen. Hätte Schweighöfer so eine Rolle gar nicht zugetraut. Das „Literarische Quartett“ habe ich leider nie wirklich gesehen, habe erst im Nachhinein davon erfahren.

    Lieben Dank für deinen Besuch & herzliche Grüße in die Schweiz
    Die Bücherliebhaberin

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  6. Liebe Bücherliebhaberin

    Ich glaube, ich hole mir die Autobiographie auch noch im Antiquariat. Ich habe den Film über Reich-Ranicki im Fernsehen gesehen und schon der hat mich schwer beeindruckt. Im „Literarischen Quartett“ habe ich ihm immer gerne zugeschaut und zugehört. Schade, dass es dieses nicht mehr gibt.

    Vielen Dank für deine schön Rezension.

    Liebe Grüsse
    buechermaniac

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  7. Liebe caterina,

    ja seine Art zu Schreiben hat mich wirklich sehr erstaunt. Hätte es mir ganz anders vorgestellt aber es fesselt einen und man liest das Buch innerhalb von wenigen Wochen. Er steckt einen an mit seiner Leidenschaft für das geschriebene Wort und überrascht mit seinem schier unendlichen Wissen zur deutschen Literatur. Unbedingt lesen!!
    Hab auch schon Kat geschrieben: So wie aussieht, wird es Canetti.

    Liebe Grüße

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  8. Liebe Kat,

    nun will ich dir auch endlich antworten. Die Biografie von Ruth Klüger kannte ich bisher noch nicht aber sie klingt mindestens genauso interessant wie die von R.-R. Vielen Dank für den Hinweis.
    Für das nächste Mal überlegen wir gerade noch was wie lesen werden. Es wird wohl Canetti. Aber ich halte dich hier auf dem Laufenden ;) Gibt es denn keine Möglichkeit in deinem Umfeld einen kleinen Literaturkreis zu gründen?

    Liebe Grüße
    Die Bücherliebhaberin

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  9. Liebe Bücherliebhaberin,
    du machst mich mit dieser Besprechung sehr neugierig auf dieses Buch. Mit Reich-Ranicki hatte ich bisher wenige „Berührungspunkte“ – da spielt Ehrfurcht mit rein, aber auch eine gewisse Abneigung. Dabei habe ich mich nie wirklich mit ihm befasst. Mich überrascht zum Beispiel, dass du seine Schreibe als leicht zugänglich beschreibst, ich hätte eher etwas Verschwurbeltes, Hochgestochenes erwartet. Umso erstaunter war ich von deinem Satz: „Er hat sich mit seinen Schriften immer an die Leserschaft gerichtet und nicht an die eigene Zunft“. Das macht ihn und sein Schaffen in meinen Augen noch spannender – jetzt habe ich richtig Lust bekommen, mich mit ihm zu befassen.

    Merci und liebe Grüße!

    PS: Habt ihr schon entschieden, welches Buch ihr als Nächstes lest?

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  10. Vielen Dank fuer Deine Impressionen zu der Autobiographie von Reich-Ranicki. Interessanterweise ging es einer Freundin von mir ganz aehnlich, sie war zunaechst auch unheimlich skeptisch als sie zu dem Buch griff, war aber doch sehr beruehrt nach Ende der Lektuere. Daraufhin wollte ich das Buch auch lesen, habe es natuerlich noch nicht geschafft. Ausserdem hatte ich das dringende Beduerfnis Ruth Kluegers Autobiographie noch einmal zu lesen, als wir ueber Ranickis Biographie sprachen.

    Ich wuenschte, ich koennte an Eurem kleinen Literaturzirkel teilnehmen. Was widmet Ihr Euch das naechste Mal?

    Lieben Gruss,

    Kat

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