Florian Illies: 1913 – Der Sommer des Jahrhunderts

„1913“ war für mich eine Enttäuschung. Plot und Thema hatten mich zunächst überzeugt und mBildein erster Eindruck war positiv. Das Jahr 1913 wird in seine zwölf Monate zerlegt. Zu jedem Monat gibt eine einseitige Zusammenfassung; danach erfährt der Leser in sehr knappen Abschnitten das Wichtigste (und das kann nur subjektiv bzw. von Illies gefiltert sein) aus den kulturellen, intellektuellen und politischen Kreisen des Jahres 1913.

Anekdotenreich, amüsant und detailverliebt lesen sich die ersten Seiten. Trotz aller Knappheit sind die einzelnen Abschnitte informationsgeladen. Ein Reigen der wichtigsten Persönlichkeiten der damaligen Zeit flaniert vor unseren Augen (die Gebrüder Mann, Franz Kafka, Egon Schiele, Pablo Picasso, Gottfried Benn, Sigmund Freud, Igor Strawinsky und Robert Musil) und Illies gibt Einblicke in die verschiedenen empfindlichen Charaktere. So erfahren wir, dass der bekannte Komponist Schönberg große Angst vor der Zahl 13 hat und dass Else Lasker-Schüler die Trennung von Dichter Gottfried Benn nur mit Morphium erträgt. Aber schon auf Seite 32 kommt mir die Leselust abhanden.

Zum einem ärgern mich die chronologischen Sprünge innerhalb der Monate, zum anderen störe ich mich immer mehr an der Sprache. So erfahre ich im Januar, dass Marcel Proust eine „spezielle Work-Life-Balance“ entwickelt und Kafka im April ein „Burn-Out“ therapiert. Ebenso Kommentare des Autors wie „Hat denn niemand gute Laune im Mai?“ würde ich einfach nur gern überspringen.

Der Verdacht drängt sich mir auf, dass Florian Illies dem Mainstream gerecht werden will. Es werden Skandale, Liebeleien, Intrigen, Kriege in einer Sprache thematisiert, die der Neuzeit entspricht. Geschichte kommt salopp daher, wird zuweilen witzig (prinzipiell kein Problem, aber in dieser Verbindung). So ist ein Zusammentreffen von Hitler und Stalin am Ende einfach eine nette Begebenheit. Es werden Themen und Personen in Verbindung gebracht, dessen Kontrast für den einen originell und reizvoll sind, für mich sind sie einfach unpassend. „Rilke leidet weiter, Kafka zögert weiter, aber der kleine Hutladen von Coco Chanel expandiert.“ Es wirkt angestrengt und für alles findet er einen vermeintlichen Bezug. Und so kann ich mich leider nicht den vielen begeisterten Stimmen anschließen.

Spätestens als ich auf Seite 85 im wohl kürzesten Abschnitt lesen muss „Rainer Maria Rilke hat Schnupfen“ bin auch ich als Leser mehr als verschnupft.

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Florian Illies: 1913
Büchergilde Gutenberg, Frankfurt 2013

11 Kommentare

  1. Liebe Vera,
    mir ging es damals ganz ähnlich. Ich hatte mich sehr auf das Buch gefreut, fand die ersten Seiten gut und amüsant, doch nach ca. 50 Seiten verlor sich meine Begeisterung fast gänzlich. Ich glaube, ich habe das Buch damals auch nicht zu Ende gelesen.

    Grüße aus Hessen,
    Mina

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    1. Liebe Mina,
      freut mich, dass es auch andere Stimmen gibt. Ich wollte das Buch aber unbedingt zu Ende lesen. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt …

      Liebe Grüße zurück
      Vera

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    1. Ja, ich weiß liebe Constanze. Meine Erwartungshaltung war einfach zu hoch. Ich hatte mir noch mehr Tiefgang gewünscht und war nicht gefasst auf diesen teilweise flapsigen Stil. Das hat mich ziemlich verwirrt und am Ende dann eben doch enttäuscht.

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  2. Hmm… Das Buch steht schon seit Jahren auf meiner Wunschliste, weil ich die Idee dahinter so gut finde. Doch die von dir erwähnten modernen Phrasen schrecken mich nun doch sehr ab. Schade.

    Aber immerhin ist die abgebildete Ausgabe zumindest optisch gelungen. :)

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    1. Mit meiner Meinung steh ich ja doch ziemlich allein da. Es gibt unzählig viele positive Stimmen. Entscheide doch einfach selbst und lies es. Dann können wir ja noch einmal drüber sprechen ;)

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      1. Die Begeisterungsstürme kenn ich. Doch gerade wenn ein Buch immer nur in den Himmel gelobt wird, bin ich für andere Meinungen regelrecht dankbar, weil ich erst dann erfahre, was an einem Buch weniger gelungen ist – und dann kann ich überlegen, ob das ein Punkt ist, der auch mich stören würde. Das ist hier leider der Fall. Wenn so etwas nur zwei- dreimal auftritt, seh ich darüber gern hinweg, aber bei regelmäßigem Auftreten sehe ich momentan eher Lesefrust als Leselust vor mir.
        Irgendwann werde ich sicher einmal in „1913“ reinlesen/-hören, aber die Dringlichkeit, es lesen zu wollen, ist nun weg. Das wiederum ist gut für die anderen Titel auf der Wunschliste, die nun in der Priorität um einen Platz nach oben klettern.

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  3. Doch, ich mochte es.
    Zugegeben es ist Mainstream, aber gerade die – etwas am Denkmalsockel kratzende – Respektlosigkeit, mit der von den „Geistesgrößen“ berichtet (oder auch zusammengeflunkert) wird, fand ich äußerst amüsant.
    Und ein Buch das mich amüsiert, ist ein gutes Buch.
    LG Erich

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    1. Ja, amüsant trifft es ganz gut. Ich wollte mir dieses spezielle Jahr aber nicht mit einer amüsanten Lektüre erlesen und da komme ich auf die Erwartungshaltung zurück. Ich hatte mit einem völlig anderen Buch gerechnet und konnte mich später schwer bzw. gar nicht von dieser Erwartungshaltung lösen. Das ist am Ende aber mein ganz persönliches Problem – wie ja auch insgesamt dieser Beitrag nur auf meiner individuellen Leseerfahrung beruht.

      Liebe Grüße
      Vera

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