Barcelona-Trilogie – Montserrat Roig: Die Frauen vom Café Núria

Als ich den Titel in der Verlagsvorschau des Kunstmann Verlages sah, war mir sofort klar: Das Buch „Die Frauen vom Café Núria“ von Montserrat Roig muss ich lesen. Die Schriftstellerin war mir leider bisher noch nicht begegnet. Nun war es an der Zeit, mich näher mit der katalanischen Autorin auseinanderzusetzen.

Montserrat Roig verfasste neben Romanen auch Erzählungen, Reportagen und Artikel in katalanischer Sprache. Sie studierte Philosophie in Barcelona und engagierte sich als junge Frau gegen die Franco-Diktatur (1939-1975) in Spanien. Sie setzte sich für die katalanische Sprache und Kultur ein und stand der feministischen Bewegung nahe. Sie starb Anfang der 1990er Jahre im Alter von 45 Jahren an Krebs.

Erster Teil der Barcelona-Trilogie | Autorinnenportrait von Montserrat Roig ©Pilar Aymerich

„Die Frauen vom Café Núria“ ist der erste Teil ihrer Barcelona-Trilogie und erscheint erstmals auf Deutsch. Der Einstieg in den Roman ist unmittelbar: Die katalanische Hauptstadt wird während des Spanischen Bürgerkriegs von einem Bombenangriff heimgesucht. Eine junge Frau namens Mundeta sucht in den Wirren der Katastrophe nach ihrem Mann Joan.

Schon auf den ersten Seiten wird das Hauptmotiv deutlich, das sich durch den ersten Band und, wie ich vermute, auch durch die beiden folgenden zieht. Die Stellung der Frau in der spanischen Gesellschaft und ihr Selbstverständnis. Wenn Mundeta sich selbst als dumm bezeichnet und keine Töchter haben will, dann wird deutlich, wie das Frauenbild in den 30er Jahren war. Nicht in allen Gesellschaftsschichten, aber vor allem in den bürgerlichen Kreisen, aus denen sie stammte, war dies Konsens. Trotz der gut versteckten Verachtung ihres Mannes ist sie froh über diese Ehe, so muss sie nicht als alte Jungfer sterben.

Diese Abhängigkeit erleben wir Jahrzehnte früher Ende des 19. Jahrhunderts, als Mundetas Mutter, die ebenfalls Mundeta heißt, Francisco heiratet, aber auch Jahrzehnte später in den 1960er Jahren als die Tochter, auch sie heißt Mundeta, mit Jordi zusammen ist. Mundeta – der Name ist Programm. Alle drei Frauen, Großmutter, Mutter und Tochter, heißen Mundeta. Mundeta kommt aus dem Katalanischen und bedeutet so viel wie „kleines Mädchen“. Die Frauen verkörpern jede auf ihre Weise dieses kleine Mädchen, das sich nicht wirklich vom Mann emanzipieren kann. Durch alle Jahrzehnte hinweg der gleiche Mief und das Patriarchat, das schwer auf ihren Schultern und Biografien lastet.

„Kleines Mädchen“ – über Generationen hinweg

Ende des 19. Jahrhunderts besteht die Welt für Mundeta aus der Suche nach einem geeigneten Ehemann. Einmal in der Ehe besteht sie nur noch aus Langeweile und Haushalt, den sie nicht mag. Sie ist zunehmend gereizt und träumt davon, dass etwas Aufregendes passiert. Erst als ein verliebter Student ihr den Hof macht, gerät sie in Wallung. Die Affäre endet jedoch unglücklich. Ihrer Tochter steht sie von der Geburt an ablehnend gegenüber: „das Mädchen ist ein hässliches, trauriges Geschöpf“. Sie ist ihr nur eine Last und sie hätte viel lieber einen Jungen bekommen. Nicht verwunderlich, dass die eigene Tochter Jahrzehnte später die gleichen Gedanken hat. Als ihr Mann stirbt, muss sie sich von der besseren Gesellschaft verabschieden. Rückblickend wird sie die Zeit als junge Frau und ihren Mann verklären. Daten, Orte und Personen verschwimmen zu einem dichten Knäuel, in dem Kindheit, Jugend und Ehejahre zu einer kompakten Masse verschmelzen. Ihre Enkelin wird später über sie sagen: „äußerlich flexibel aber innerlich unbeugsam – voller Rätsel“. Aber auch voller Predigten für die nachfolgende Generation: „aber es gibt nun einmal eine Menge Dinge, die wir einfach tun müssen, wenn wir erhobenen Hauptes durchs Leben gehen wollen.“

Die Mundeta der 1930er Jahre wird früh durch die Ablehnung der Mutter und den fehlenden Vater geprägt. Als der geliebte Vater stirbt, sagt es ihr niemand, auch die Mutter nicht. Er ist einfach weg. Als völlig unpolitische Frau, die regelmäßig mit der Mutter und deren Freundinnen im Café Núria eine heiße Schokolade trinkt, horcht sie zum ersten Mal auf, als die Republik ausgerufen wird. Die Zeit des Spanischen Bürgerkrieges prägt sich tief in ihr ein, denn später verherrlicht sie diese Zeit. Sie lebt förmlich auf, wenn sie vom Spanischen Bürgerkrieg spricht: „Die Anarchisten hatten wenigsten Ideale“. Ihre eigenen werden geprägt von den Klatschgeschichten der Freudinnen und der Zeitschrift „La Dona Catalana“, die weiß, wie sich Frauen zu verhalten haben.

Die katalanischen Frauen waren schon im die treuesten Hüterinnen unseres Glaubens und der Traditionen unseres Landes, das sind ihre ureigensten Tugenden. […] Heitere Klugheit, diskrete Führung, fügsamer Gehorsam, keusche Sittlichkeit.

Die jüngste Mundeta fällt ein hartes Urteil: „Ihre Mutter war nur ein verletzliches, wehrloses, kleines Tier, das in ständiger Furcht vor den Launen ihres Mannes Joan lebt.“ Das Kind der 1960er Jahre übernimmt den reflektierenden Part, analysiert Großmutter, Mutter und degradiert den eigenen Vater zum Feindbild. Er steht für Besitz und das herrschende Patriarchat. Ihre Familie sei eine „endlose Folge aus Feigheit, Schwäche und Ohnmacht“. Sie studiert zur Zeit Francos und engagiert sich zusammen mit ihrem Freund Jordi an der Universität gegen die Diktatur. Jordi ist einer der Anführer. Die Beziehung zu ihm ist schwierig und er wird Mundeta mit einer Kommilitonin betrügen.

Mundeta will die enge und konventionelle Welt zu Hause hinter sich lassen, sich befreien. Weg von der Großmutter, die in ihrem Zimmer einen eigenen Altar hat und vor sich hinlebt. Weg von der Mutter, die Angst vor ihrem Ehemann hat und sich nicht von ihm lösen kann. Ihr großer Bruder Nasti ist nicht wegen des fruchtbaren Vaters nach Brasilien gegangen, sondern wegen der hilf- und wehrlosen Mutter. Er schreibt ihr aus der Ferne:

Und ich will nicht, dass du Schaden nimmst, weil du meine einzige Hoffnung bist, ja vielleicht sogar die einzige Hoffnung der gesamten Familie Claret, dieser außergewöhnlichen, komplexbeladenen, öden, rückwärtsgewandten Familie Claret.

Das Leben der drei Frauen ist geprägt von Zwängen und Verpflichtungen. Doch Montserrat Roig zeigt uns in Minisequenzen auch andere Frauenbilder. In den dreißiger Jahren ist es Kati. Die neugierige, freizügige, offene Frau, die mit über 30 noch immer ledig ist, die über Gedichte und Bücher spricht und frei von Konventionen ist. Kati ist das Sinnbild der Freiheit. Sie nimmt sich 1939 das Leben, als klar wird, dass der faschistische General Franco als Sieger aus dem Spanischen Bürgerkrieg hervorgeht. In den 60er Jahren ist es eine Kommilitonin von Mundeta, die als „Unischlampe“ bezeichnet wird, weil Sex für sie kein Akt der Selbstbehauptung ist, sondern ein Bedürfnis.

Die Männer an der Seite der Frauen sind ebenfalls sehr unterschiedlich. Francisco, als zu schwach und nicht durchsetzungsfähig gezeichnet, dichterisch aktiv, und von der Tochter als liebevoller Papa in Erinnerung. Er erkrankt am System, in dem kein Platz ist für entrückte Romantiker. Joan ist ganz Teil dieses Systems: ein Mann mit undurchsichtigen Geschäften, einer, der aus jeder Katastrophe Kapital schlägt, der Frau und Kinder mit seiner Autorität klein hält. Und schließlich Jordi, ein gekränkter Studentenführer, der sich nicht binden will. Jede findet ihren Weg mit dem jeweiligen Mann zurecht zukommen. Aber es ist ein steiniger und von Enttäuschungen geprägter Weg.

Barcelona – du schönes Schreckgespenst

„Die Frauen vom Café Núria“ reiht sich ein in die lange Liste literarischer Schauplätze in Barcelona. Barcelona, geliebt und gehasst, ist Sehnsuchtsort und Schreckgespenst zugleich. Im Krieg ist die Metropole eine Stadt der Verzweiflung, der Ruinen und schreienden Kinder, des Leids und des Todes. Es ist die Stadt der Armen, die Ende des 19. Jahrhunderts am Rande in den „lebhaften Arbeitervierteln“ lebten, und die Stadt der Reichen, die auf dem Passeig de Gràcia flanierten und ihre Garderoben ausführten. Aber die Perspektiven ändern sich mit den Lebensphasen und wie sehr sich die Stadt verwandelt hat, zeigt uns Mundeta der 1960er Jahre. Ihre Stadt hat nichts mehr mit dem zu tun, was sie einmal war.

Diese Stadt hatte nichts mehr gemeinsam mit dem idyllischen Barcelona der Dreißigerjahre und erst recht nichts mit dem legendären Fin de Siècle. Sie überquerte den Gran Via und ging an der Bar Estudantil vorbei. […] Die Stadt veränderte sich, verformte und verkaufte sich, passte sich dem falschen Bild an, das in der Presse von ihr gezeichnet wurde. […] Wenn sie die Leute betrachtete, bemerkte sie, dass sie nicht mehr länger gemütlich flanierten; stattdessen hatte sie es eilig, bedrückt und geschäftig, mit abwesender Miene, Bürotrottel, Bilder bar jeder Poesie. […] Die Placa de Catalunya war ein Abziehbild. […] Das war das Barcelona der späten Sechziger, eine unübersichtliche, elektische Stadt, voller Klischees, die denjenigen, die eine langweilige Gefälligkeitsliteratur produzierten, hübsche bunte Bildchen lieferten.

Barcelona wird rückblickend immer ein wenig verklärt, egal welche Generation sich erinnert. Zwischen den drei Zeitebenen und den drei Frauen wird schnell gewechselt, ohne dass der Überblick verloren geht. Zügig hört man die verschiedenen Mundetas heraus. Zugleich bilden die Stimmen eine Art Chor, der nur das Eine anstimmt: die Last, als Frau geboren zu sein. Der erste Band ist ein sehr lesenswerter und fulminanter Auftakt der Trilogie und hat mich neugierig auf die nächsten beiden Bände gemacht.

„Die Frauen vom Café Núria“ ist der erste Teil der Barcelona-Trilogie, die Montserrat Roig in den siebziger Jahren schrieb und 1972 auf Katalanisch veröffentlichte. Der Band erscheint erstmals auf Deutsch. Der zweite Teil „Zeit der Kirschen“ (1977) und der dritte Teil „Die violette Stunde“ (1980), sind bereits auf Deutsch veröffentlicht. Sie werden von Ursula Bachhausen und Kirsten Brandt neu übersetzt und erscheinen im Herbst 2024 und im Frühjahr 2025.

Plaça del Diamant in Barcelona nach dem gleichnamigen Buch von Mercè Rodoreda ©glasperlenpiel13

Mit Montserrat Roig entdecke ich innerhalb weniger Jahre die dritte große weibliche Stimme aus Katalonien. Maria Barbal, die weltbekannte Autorin, mit ihrem Roman „Wie ein Stein im Geröll“, habe ich erst letztes Jahr kennengelernt. Eine weitere Autorin aus dieser Region ist Mercè Rodereda. Mit der Übersetzerin Kirsten Brandt, die auch Montserrat Roig übersetzt, konnte ich vor einigen Jahren über Roderedas wiederentdeckten Roman „Der Garten über dem Meer“ sprechen.


Montserrat Roig: Die Frauen vom Café Núria
1. Teil der Barcelona-Trilogie
Original: Ramona, adéu (1972)
Übersetzt von Ursula Bachhausen und Kirsten Brandt
Verlag Antje Kunstmann, München 2024

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