Autorin und Feministin Sophie Passmann habe ich über Twitter für mich entdeckt. Ich begann ihr zu folgen und wurde mit ihrer Art des Denkens vertraut. Als ihr Buch „Alte weiße Männer“ erschien, wusste ich sofort, dass dies meine nächste Lektüre sein wird. Dazu muss man folgenden Hintergrund kennen: In meinem privaten Literaturkreis versuchen wir uns seit einiger Zeit vermehrt auf Schriftstellerinnen zu konzentrieren und wollten im Zuge dessen auch ganz konkret feministische Literatur lesen. Ich hatte damals über Twitter nach Texten gefragt und auch viele inspirierende Antworten erhalten. Der Literaturkreis entschied sich für Laurie Penny und ihre Aufsätze „Bitch Doktrin„. Nur leider fand das Buch keinen großen Anklang in der Runde. Sei es wegen des Formats, sei es inhaltlicher Natur. Umso größer war die Freude als ich von Passmanns Schlichtungsversuch erfuhr.
Dieses Buch ist also nicht der Versuch, die Geschlechterungerechtigkeit wegzulächeln oder Sexismus mit einem Glas Wein in der Sonne zu beenden. Es ist ein Gesprächsangebot. (…) Es ging in diesen Gesprächen um Besonnenheit und darum, sich durch die Meinung des Gegenüber nicht gleich angegriffen zu fühlen.

Der Titel „Alte weiße Männer“ ist natürlich provokant und ein stückweit pauschalisierend aber die Heran-gehensweise mit Männern über deren Einstellung zum Feminismus, zu Frauen und zu dem gedanklichen Konstrukt „alte weiße Männer“ zu sprechen, interessierte mich.
Das Buch ist für Passmann eine Annäherung an die Männlichkeit im 21. Jahrhundert und sie hat das Gefühl, dass sich diese vom modernen Feminismus bedroht fühle. Sie macht zusätzlich klar, dass nicht jeder Mann, der alt und auch weiß ist automatisch Feindbild sei. Ihr gehe es eher um das vorherrschende „Gefühl der Überlegenheit gepaart mit der scheinbar völligen Blindheit für die eigenen Privilegien“.
Sie ist sich dessen bewusst, dass ihr gelebter und nach außen getragener Feminismus „unbequem, anstrengend, omnipräsent und lästig“ sein muss. Dieses Anstrengende und Lästige fühle und erlebe ich bei vielen Diskussionen, die ich mit Frauen oder Männern führe, immer wieder selbst.
Für diesen Versuch trifft sie sich einen Sommer lang mit bekannten und mächtigen Männern. Die Auswahl reicht von Sascha Lobo über Robert Habeck und Kai Diekmann bis hin zu ihrem eigenen Vater und Ulf Poschardt. Eine illustre Runde, die jede Menge Potential birgt. Jeden der Interviewten fragt sie eingangs: »Sind Sie ein alter weißer Mann und wenn ja – warum?« . Die sich daraus ergebenen Diskussionen sind für Passmann zuweilen eine emotionale Berg- und Talfahrt, In Internetguru Sascha Lobo, dem Grünen-Chef Robert Habeck und Jusos-Vorsitzenden Kevin Kühnert sieht sie auf jeden Fall Verbündete. Jedoch sind manche Äußerungen einiger Interviewten so schräg, dass man sie gar nicht glauben mag. Deren Denkweise hat mich sehr zum Nachdenken gebracht, zumal mir manche davon völlig unbekannt waren. Beispiele gefällig?
Es gibt eine kleine Minderheit von Feministinnen, zu der gehören auch sie, die sich über den Rest des demografischen kleiner werdenden Teils des Publikums, für den Gleichberechtigung noch nicht selbstverständlich ist, aufregt. Ich glaube, dass es dazwischen ein breites Publikum gibt, für das Gleichberechtigung völlig selbstverständlich ist.
Kai Diekmann, deutscher Journalist
Ich glaube natürlich schon, dass diese ganze Debatte, die wir führen, aus einer gewissen Langweile heraus kommt, weil aktuell unser aller Leben total unspannend ist und genau gar nichts passiert. Es steht kein Krieg an, wir haben keine existenziellen Probleme, dewsegen können wir uns solche Sachen zu eigen machn wie Gender Pay Gap und sonst was. Weil wir einfach Zeit dafür haben und nichts Wichtigeres da ist.
Carl Jakob Haupt, deutscher Influencer
Ich beobachte den Feminismus deswegen, weil ich in einem, wie ich finde, superfeministischen Projekt lebe, nämlich in dem sogenannten Harem. Das ist eine weibliche Kommune, in der sich Frauen nicht am Mann abarbeiten, sondern aus ihrem weblichen Muster herauszukommen, das heißt sich zu erkennen versuchen. Die normalen Feministinen lehnen diesen Ansatz natürlich massiv ab, weil sie das noch nicht verstehen, was wir machen
Rainer Langhans, deutscher Autor, Filmemacher und Schauspieler
Die Interviews werden im Buch nicht 1:1 wiedergegeben. Sie werden von Passmann zusammengefasst, kommentiert und analysiert, so dass man sich auf die Perspektive und die Interpretation der Autorin verlassen muss. Das ist natürlich hochgradig subjektiv, auch wenn sie die Interviewten oft wörtlich zitiert. Ein Lesegvergnügen ist es allemal, da es die Autorin schafft neben der inhaltlichen Auseinandersetzung auch die Persönlichkeiten dieser Männer zu skizzieren. Nicht immer ganz klischeebefreit und anhand eines Interviews sicher auch oberflächlich aber es ermöglicht zumindest einen kurzen Einblick in die Gedankenwelt des Gegenüber. Vollständigkeitshalber führe ich alle Gesprächspartner auf: Christoph Amend, Micky Beisenherz, Kai Diekmann, Robert Habeck, Carl Jakob Haupt, Kevin Kühnert, Rainer Langhans, Sascha Lobo, Papa Passmann, Ulf Poschardt, Tim Raue, Marcel Reif, Peter Tauber, Jörg Thadeusz und Claus von Wagner.
Was bleibt nun aber? Die dargestellten Sichtweisen der interviewten Männer erschienen mir zuweilen so festgefahren, dass der angedachte Schlichtungsversuch eigentlich keiner ist, sondern nur eine Bestandsaufnahme für abstruses Gedankengut von zurückgebliebenen Männern* des 21. Jahrhunderts ist.

Mit „Alte weiße Männer“ veröffentlicht sie ihr zweites Buch, ein drittes Buch – Sophie Passmann über Frank Ocean – steht in den Startlöchern und wird im Oktober 2019 erscheinen.
*Ausnahmen bestätigen, wie immer, die Regel
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Sophie Passmann: Alte weiße Männer
Ein Schlichtungsversuch
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019