Meir Shalev: Mein Wildgarten

Wenn der israelische Schriftsteller Meir Shalev über seinen angelegten Wildgarten in der Jesreelebene, im Norden Israels gelegen, schreibt, kann man als Leser sicher sein, dass dies keine langweilige Botanikabhandlung ist. Shalev ist ein Fabulierer und ein großer Erzähler. Seine Romane sind pures Lesevergnügen und wer ihn einmal live erlebt hat, wird sich lange an seine zahlreichen Anekdoten und Geschichten seiner Familie erinnern. Meir Shalev_Mein Wildgarten

„Mein Wildgarten“ ist eine Hommage an sein Stück Erde, das er lange gesucht hat und dem er sich mit Leib und Seele verschrieben hat.

Es ist nur eine Sammlung von Notizen, über einen bescheidenen Wildgarten und den Gärtner, der ihn hegt und pflegt, einen Mann, der recht spät im Leben ein Hobby gefunden hat, vielleicht sogar eine neue Liebe.

Libanonzeder
Libanonzeder ©glasperlenspiel13

Diese Sammlung ist wie auch seine Romane eine wunderbare Mischung aus israelischer Geschichte, Religions- und Bibelgeschichte, Wortkunde und philosophischer Gedanken. Gartengeräte, Tiere und Pflanzen werden zuweilen regelrecht gehuldigt und seine bildhafte Sprache verwandelt Naturprozesse zu einem romantischen Akt. Meir Shalev vermittelt einen unermesslichen Wissensschatz zu den verschiedenen heimischen aber auch exotischen Baumarten. Was für uns die Kastanie ist, ist für ihn der Granatapfelbaum und der Feigenkaktus. Mit diesen ist er aufgewachsen und noch heute fühlt er sich ihnen verbunden. Die Libanonzeder führt er ebenso auf, „eine mächtige, riesige Pflanze, der größte Baum in unserer Gegend.“ Ich selbst habe erst vor kurzem in Biebrich (nähe Wiesbaden) diese Baumart entdeckt. Seine Beschreibung zeigt sein schon fast zärtliches Verhältnis zu Bäumen:

„Bei meinem ersten Besuch im botanischen Garten von Cambridge bekam ich zum ersten Mal eine Libanonzeder zu Gesicht. Ich hatte sie auch schon in ihrem Heimatland gesehen, und bei ihrem Anblick stockte mir der Atem. (…) ihre Zweige wachsen ausladend und schaffen eine mächtige Silhouette, die noch beeindruckender ist als die der dickstämmigeren und höheren Riesen. Im biblischen Hebräisch stand die Zeder für Stärke und Pracht – obwohl die meisten damaligen Hebräer nie eine lebende Zeder zu sehen bekamen, sondern nur gehobelte Balken aus Zedernholz in Salomons Tempel und seinem Palast.“

Und schon hat er wieder die Verbindung zwischen Sprache und Geschichte hergestellt. Zu jedem Tier und jeder Pflanze finden sich Vergleiche, historische Geschichten oder Erklärungen zur Wortbedeutung. Und nicht nur das, Meir Shalev kann auch mit sehr verführerischen Rezepten aufwarten. Mit seinem selbst gezüchteten Salbei kocht er „eine vorzügliche Pasta-Sauce“, zu deren Herstellung er nicht nur alle notwendigen Informationen preisgibt, sondern auch gleich noch den Rat, dass diese Soße nur für zwei Esser sei: „Möglichst zwei, die Liebe füreinander empfinden und wenn noch keine Liebe, dann wenigstens Zuneigung.“

 

 

„Mein Wildgarten“ wurde um 40 Illustrationen der israelischen Künstlerin Refaella Shir bereichert. Von den vierzig Abbildungen sind zwanzig Stiftzeichnungen, die die Atmosphäre des Gartens, seine Umgebung und Pflanzen einfangen und zwanzig Farbaquarelle, die vor allem die Farbenpracht der Blumen darstellen.

Meir Shalev bezieht natürlich auch politisch Stellung. Mit seinem Wildgarten wolle er sich in die Umgebung integrieren und hebt zugleich hervor, dass diese vorwiegend botanischer Natur sei. Denn obwohl er durch emotionale und kulturelle Bande mit dem Nahen Osten verbunden sei, habe er keine Absichten regionale Normen zu übernehmen als da wären:

„Vermischung von Religion und Politik, Beschäftigung mit Rache und Ehre, diskriminierende oder gar gewaltsame Behandlung von Frauen, übertriebene Traditionstreue und prinzipielle Verachtung der Demokratie.“

Unter Schriftstellern ist die Beschäftigung mit der Botanik nichts ungewöhnliches. So waren Bäume für Hermann Hesse „Heiligtümer, die als Gleichnisse für das Leben und als Symbole für die organische Organisation der Natur standen.“ Eine Anthologie habe ich bereits vor einiger Zeit hier vorgestellt. Auch Karel Čapek berichtet in seinem Buch „Das Jahr des Gärtners“ über seinen geliebten Ziergarten.

Meir Shalev_Mein Wildgarten_©Refaella Shir 2017_04
Meir Shalev: Mein Wildgarten ©Refaella Shir 2017

Ich habe „Mein Wildgarten“ sowohl Naturliebhabern als auch Geschichtsinteressierten empfohlen. Das Buch hat so viele Facetten und ist ein wahrer Schatz, den es auf vielen verschlungenen Pfaden zu entdecken gilt. Perfekte Sommer- und Balkonlektüre mit Anspruch, ohne anstrengend zu sein.

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Meir Shalev: Mein Wildgarten
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Diogenes Verlag; Zürich 2017

 

Mehr Literatur von Meir Shalev gibt es hier:
Shalev, Meir: Judiths Liebe
Shalev, Meir: Meine russische Großmutter und ihr amerikanischer Staubsauger
Shalev, Meir: Zwei Bärinnen

4 Kommentare

    1. Liebe Uli,

      das freut mich. Genau das ist ja mein Ansatz: Bücher vorzustellen, die nicht überall gehypt werden. Viel Freude bei der Lektüre.
      Liebe Grüße
      Vera

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  1. Vielen Dank für diesen ganz wunderbaren Tipp. Früher haben mich Pflanzen nicht sonderlich interessiert, nichts war selten so langweilig wie Botanik im Biologie-Unterricht. Mittlerweile finde ich diese grüne Welt sehr spannend, auch welche Möglichkeiten die Pflanzen bieten – als Schmuck für das Zuhause und für die Heilung. Viele Grüße

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    1. Liebe Constanze, ja das Buch hat mich positiv überrascht, obwohl ich eigentlich schon vorher wusste, dass es nicht schlecht sein kann. Ich bin mir sicher, dass es dir gefallen wird.
      „Wilde“ Grüße :)

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