Joan Sales: Flüchtiger Glanz

„Joan Sales geht weder in die Falle des melodramatischen Bekenntnisses noch in die der poetischen Träumerei, worunter die meisten Kriegsromane leiden. Aus diesem Grund überlebt die Wucht von Flüchtiger Glanz den Lauf der Zeit und kann heute mit derselben Intensität gelesen werden, mit der er geschrieben wurde.“

Juan Goytisolo

Joan Sales Roman „Flüchtiger Glanz“ galt letztes Jahr als wiederentdeckter Klassiker. Mit seinem Werk zu den Wirren des Spanischen Bürgerkrieges setzt sich der katalanische Schriftsteller mit einer Thematik auseinander, die dieses Jahr wieder in den Fokus der interessierten Öffentlichkeit geraten ist. Vor genau 80 Jahren begann dieser blutige, dreijährige Krieg, der Spanien bis in die Neuzeit gespaltet hat.

Im Zentrum des Textes stehen drei junge Katalanen, die das Barcelona der frühen 30er Jahren erleben: Lluis, Trini und Cruells – drei Idealisten, getrieben von der Sehnsucht das Leben Sales_24910_MR.inddin vollen Zügen zu leben. So intensiv und mit so viel Glanz wie nur eben möglich. Sie nehmen in diesen Jahren den Spanischen Bürgerkrieg (Juli 1936 bis April 1939), der mit dem Überfall am 17. Juli 1936  in Spanisch-Marokko unter der Führung von General Francisco Franco seinen Anfang nahm, mit all seinen Konsequenzen wahr. Die faschistische Revolte richtete sich gegen die unter Manuel Azana y Diaz geführte Volksfrontregierung Spaniens.Vor allem in den ersten Monaten erlebte Barcelona eine ungeheure Euphorie, eine Aufbruchsstimmung, die aber schnell im blutigen Chaos versank: die Jagd auf Andersdenkende hatte begonnen.

Lluis ist seit Juli 1936 an der Front und hat seine Freundin Trini mit dem gemeinsamen Sohn Ramonet in Barcelona zurücklassen müssen. In einem kleinen Dorf hinter der Frontlinie lernt er die wesentlich ältere Carlana kennen. Eine Witwe, die sich mit Hilfe Lluis eine Heiratsurkunde erschwindeln will, um sich und ihren Kindern auf dem Anwesen ihres gestorbenen Geliebten ein ruhiges Leben zu verschaffen. Lluis verfällt der Carlana und erklärt sich mit leidenschaftlichen Worten und macht sich dabei geradezu lächerlich. Sein alter Studienfreund Soleras verrät ihn derweilen bei seiner Freundin Trini. Erst später erfährt der Leser, dass Soleras selbst ein großes Interesse an Trini hat. Diese stammt aus einer alten anarchistischen Familie, ist studierte Geologin und führt in Barcelona ein schweres Leben als quasi alleinerziehende Mutter im Hinterland. Sie berichtet in Briefen, die sie Soleras zukommen lässt, von den vielen Greueltaten in der Stadt und wie sie sich immer mehr dem Katholizismus nähert.

Der katalanische Schriftsteller Joan Sales (c)
Joan Sales (c) Arxiu Joan Sales

Flüchtiger Glanz ist ein nicht ganz gewöhnlicher Kriegsroman. Sales schildert kaum Kampfhandlungen. Er begibt sich mit seiner Perspektive hinter die Frontlinien, schildert Ruhephasen der Einheiten, wie sich Langweile breit macht, wie sich die Soldaten ihre Zeit vertreiben: mit Streichen, endlosen Diskussionen und elenden Saufgelagen. Es gibt zeitweise keine Waffen, dafür aber eine eigene Musikkapelle.

Langweile wird hier zum Synonym des Krieges, ein tödlicher Zustand, der an den Nerven aller Beteiligten zerrt. Neben den Kriegserfahrungen, die der Autor in diesem Buch verarbeitet, ist Flüchtiger Glanz auch der Liebe verpflichtet. Die männlichen Protagonisten im Roman hegen allesamt mehr oder weniger ehrenwerte Gefühle für Trini. Aber jeder dieser Lieben ist kein glückliches Ende vergönnt.

Für mich ein relativ neuer Aspekt während der Lektüre: die Rolle der Anarchisten – im Roman werden sie vorwiegend als verrohte und durchs Land mordende Truppen dargestellt. Begründet auch auf Enzensbergers Roman „Der kurze Sommer der Anarchie. Buenaventura Durrutis Leben und Tod“ hatte ich ein eher positives Bild dieser ideologischen Ausrichtung zu Zeiten des Spanischen Bürgerkrieges. Einziger Lichtblick auf Seiten der Anarchisten ist Trinis Vater, der konsequent an seinen Überzeugungen festhält und damit auch sein Leben riskiert.

„Der Anarchismus ist nichts, was man mal so nebenbei an einem Tag oder in einem Jahr verwirklichen kann! Eben weil es die großartigste Unternehmung in der Geschichte der Menschheit ist, erfordert es viele Jahre, vielleicht Jahrhunderte; es erfordert ganz vorsichtige Schritte, damit man nicht daneben tritt … Ein solches Werk kann nie Werk des Hasses sein, sondern immer nur der Liebe, und die Liebe schließt niemanden aus, sondern fordert die Beteiligung von jedermann, egal, woher er kommt, um die Welt schöner, gerechter und angenehmer zu machen.“

Überhaupt ist es ein ewig verwirrendes Thema in Bezug auf den Spanischen Bürgerkrieg: Welche ideologischen Ausrichtungen gab es und wer kämpfte eigentlich gegen wen? Und so verlor das antifaschischtische Lager eben auch weil Sozialisten, Anarchisten, Kommunisten und Republikaner keine gemeinsame Linie fanden und es selbst innerhalb der einzelnen Richtungen weitere Absplitterungen gab. Im Roman begegnen wir daher zuweilen paradoxen Neuformierungen wie der Partit Republicà d´Esquerra Federal Nacionaliste de l´Emporada (dtsch.: Partei der Förderalistischen Nationalistischen Republikanischen Linken der Region Empordà). Sales zeigt aber auch die fließenden Übergänge zwischen den Lagern auf, wie sich plötzlich ein Republikaner auf der Seite der Faschisten wieder finden kann und zeigt am Bruder Trinis exemplarisch den typischen Wendehals der damaligen Zeit auf. Es gibt in diesem Krieg kein Schwarz/Weiß, kein Gut gegen Böse. Die Schattierungen sind vielfältig.

Joan Sales ist der spanischen und katalanischen Sprachwelt längst ein Begriff. In Deutschland hingegen war er bis letztes Jahr ein unbekannter Schriftsteller.

Joan Sales_01
Joan Sales auf der Überfahrt nach Mallorca, 50er Jahre (c) Arxiu Joan Sales

Der Katalane ist Jahrgang 1912. Er engagiert sich schon früh politisch, ist zunächst Mitglied der Partit Comunista Català und wird damit zum schwarzen Schaf seiner katholisch-konservativen Familie. 1936 wird er wie viele andere auch einberufen und Gefolgsmann der Durruti-Kolonne in Madrid. Nach dem Sieg Francos muss er ins Exil. Paris, die Dominikanische Republik und Mexiko kennzeichnen seinen Fluchtweg. 1948 kehrt nach Barcelona zurück und beginnt mit der Niederschrift des Romans. Er ist der erste Schriftsteller, der nach dem Spanischen Bürgerkrieg aus der Perspektive der Verlierer schreibt. „Flüchtiger Glanz“ wird umgehend verboten und erst 1956 in Spanien veröffentlicht. Die unzensierte und endgültige Fassung erscheint 1971.*

Joan Sales am Arbeitstisch
Joan Sales in seinem Arbeitszimmer (c) Arxiu Joan Sales

Für „Flüchtiger Glanz“ braucht man einen langen Atem. Man muss sich auf die unterschiedlichen und weitschweifenden Gedankengängen der verschiedenen Hauptcharaktere einlassen können  – zuweilen ein kleiner Kampf mit der Lektüre, der aber belohnt wird! Die atmosphärischen Beschreibungen Barcelonas zu dieser Zeit, die Darstellungen der unterschiedlichen ideologischen Gruppierungen und deren Denkansätze und die komplexen zwischenmenschlichen Beziehungen in Zeiten eines furchtbaren Krieges machen den Roman zu einem wichtigen Zeitdokument. Zeitlebens haben Joan Sales die Erfahrungen des Krieges geprägt. „Flüchtiger Glanz“ ist der Versuch vieles davon zu verarbeiten und ein Nachlass für uns, eine Erinnerung nicht zu vergessen.

Übersetzerin Kirsten Brandt wurde mit ihrer Übertragung ins Deutsche letztes Jahr für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung nominiert. In einem kommenden Interview werde ich mich noch einmal näher mit ihr und ihrer Tätigkeit auseinandersetzen.

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Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt
Original: Incerta Gloria
Mit einem Nachwort von Eberhard Geisler
Carl Hanser Verlag; München 2015
* Alle biografischen Informationen entstammen dem Lesebuch zu Joan Sales „Flüchtiger Glanz“, das der Hanser Verlag in Kooperation mit dem Institut Ramon Llull veröffentlicht hat.

6 Kommentare

  1. Du bringst es in Deiner wunderbaren Besprechung sehr genau auf den Punkt: Man braucht einen langen Atem, aber man wird belohnt. Für mich war der Roman eine sehr wichtige Leseerfahrung. Es braucht eben auch Herausforderungen. Viele Grüße

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