Zu Besuch beim Diogenes Verlag: „Wir verlegen keine Bücher, wir machen Autoren“

Diogenes VerlagSofort hab ich das ruhig gelegene Verlagshaus ins Herz geschlossen. Im Züricher Stadtteil Hottingen befindet sich in der Sprecherstrasse der größte Schweizer Verlag: der Diogenes Verlag. Das literarische Viertel beherbergt weitere Verlage wie den Dörlemann Verlag, Nagel & Kimche und die drei größten Literaturagenturen des Landes. Von außen erinnerte mich das Haus eher an eine gemütliche, italienische Pension. Doch beherbergt es einen Verlag, der es wie kein anderer geschafft hat, neben der programmatischen  Ausrichtung vor allem durch seinen Auftritt die Herzen der Leser zu  gewinnen.

Diogenes Verlagshaus n Zürich
Diogenes Verlagshaus in Zürich

Daniel Keel und Rudolf C. Bettschart, seit frühester Jugend unzertrennliche Freunde und seit 1966 gleichberechtigte Partner, zogen in den 70er Jahren in den Altbaukomplex in der Sprecherstrasse und erweiterten 1995 die Räumlichkeiten um den angrenzenden Bau. Aus einem Ein-Mann-Verlag mit einer wahnwitzigen Idee – „Man nimmt einen hoffnungsvollen Autor, einen gutgläubigen Drucker, miete ein möbliertes Zimmer und eine Schreibmaschine, damit man dem Autor leserliche Briefe schrieben kann.“ – hat sich innerhalb von 60 Jahren ein Team von über 70 Mitarbeitern in der Verlagslandschaft etabliert. Zwei Dutzend davon konnte ich bei meinem Verlagsbesuch in Zürich kennenlernen.

Susanne Bühler aus der Werbeabteilung und Hauptansprechpartnerin für uns umtriebige Schreibende nahm sich die Zeit, mich im Haus rumzuführen und einigen Kollegen vorzustellen. Annina Meyerhaus und Corry Eberle aus der Lizenzabteilung hatten so einiges zu berichten. So waren die Filmfestspiele in Cannes dieses Jahr besonders interessant, da die Verfilmung von Patricia Highsmiths Roman „Carol“ in Cannes nominiert war.

Weiterhin erfuhr ich von beiden, dass Diogenes als deutschsprachiger Verlag von einigen Autoren die weltweiten Rechte besitzt. Neben dem schriftstellerischen Werk von Patricia Highsmith werden auch Leon de Winter, Donna Leon, Andrej Kurkow, Magdalen Nabb und Viktorija Tokarjewa komplett von Zürich aus verwaltet. Dieses große Vertrauen der Autoren in den Verlag beruht vor allem auf dem Ausnahmeverleger Daniel Keel, der zu den meisten Autoren eine innige Freundschaft pflegte. Das Diogenes-Programm spiegelte seit dem ersten Buch von Ronald Searle, das immer noch als Taschenbuchausgabe erhältlich ist, den Geschmack von Keel wieder und wichtig war ihm vor allem, dass ihn ein Buch zum Heulen brachte, ihn amüsierte, stimulierte oder auf geheimnisvolle Weise inspirierte.

Noch vor zehn Jahren waren drei Viertel aller lieferbaren Bücher in den roten Zahlen. Doch Finanzchef Rudolf C. Bettschart relativierte bereits in den 80er Jahren: „Das leistest sich der Verlag, denn nur nach Zahlen kann man kein Programm und keinen Verlag machen.“

3.000 unverlangte Manuskripte erhält der Verlag jährlich und jedes wird mit Hilfe von Agenten  angelesen. Mitunter werden dann Perlen wie Ingrid Noll entdeckt. Aber auch über Agenturen gelangen schriftstellerische Talente in den Verlag. So geschehen mit Benedict Wells, der 2008 mit „Becks letzter Sommer ein fulminantes Debüt hinlegte. Seit 23. Juli können sich alle Cineasten an der Verfilmung des Romans erfreuen.

Als Daniel Keel 2012 verstarb, übernahm sein Sohn Philipp Keel die Führung und setzt seitdem durchaus eigene Akzente. So zeigt er sich sehr offen und experimentierfreudig hinsichtlich des Programms und die Fantasy-Romane von Stefan Bachmann sind da sicher erst ein Anfang. Vor allem die Kunst und im Speziellen die Fotografie soll wieder verstärkt in den Fokus rücken. Der Fotoband „Maigrets Frankreich“ fotografiert von Brassaï, Cartier-Bresson, Doisneau u.a. mit Texten von Georges Simenon ist ebenso auf Initiative von Philipp Keel entstanden wie die bald erscheinende exklusive Edition vom französischen Fotografen René Burri, der Begleitband zur Ausstellung »Mouvement« im Maison Européenne de la Photographie in Paris.

Das Parfum
„Ob es ein Roman ist, weiß ich nicht, es ist wohl eher eine Geschichte […]. Es ist ziemlich spannend, ziemlich unheimlich und ziemlich eklig.“ Patrick Süskind

Der momentane Umrechnungskurs von Schweizer Franken zu Euro macht es dem größten Schweizer Verlag derzeit schwer. Da 90 Prozent der Umsätze in Euro gemacht werden, gilt es hohe Währungsverluste zu verkraften, erklärte mir Werbechefin Renata Sielemann. Als Konsequenz wurde für 2015 die Teilnahme der Frankfurter Buchmesse abgesagt. Ein Aufschrei in der Buchbranche und unter den zahlreichen Fans folgte. Was viele nicht wissen, dies ist nicht das erste Mal. Schon 1979 blieb der Verlag der Messe fern, damals mit folgender Begründung:

„… bis diese Messe, die doch Kultur verbreiten sollte, wieder mehr literarische Atmosphäre hat. Jede Automesse hat mehr Charme. Wir sind ein literarischer Verlag. Was sollen wir noch auf einer Buchmesse, wo die Berichterstattung über Muhammad Ali, Franz Beckenbauer oder Sophie Loren bereits als starke literarische Handlung gilt.“

Erst fünf Jahre später, 1984, kehrte Diogenes mit einem Stand aufs Messegelände zurück.

Roger Send aus dem Vertrieb gab mir einen kurzen Einblick in den E-Book Bereich des Diogenes Verlages. Momentan macht diese Sparte sechs Prozent vom Gesamtumsatz aus. Nicht alle Bücher können als E-Book erscheinen, da die entsprechenden Rechte nicht vorliegen. Für ihn sei es eine Herausforderung den Diogenes Geist auch virtuell umzusetzen. Danach ging es treppab zunächst in das alte Lager an dessen Wänden sich hauseigene Autoren mit Zeichnungen und Sprüchen an den Wänden verewigt hatten. Diese Gepflogenheit wird auch im neuen Lager fortgesetzt.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

In miteinander verbundenen Altbauwohnungen sind die einzelnen Bereiche des Verlages untergebracht und hätte Susanne nicht hervorragend geführt, ich wäre unterwegs verloren gegangen.  Vorbei ging es an Sitzbänken aus alten Straßenbahnen, vollen Regalen mit dem vornehmlich weißen Diogenes Archiv und unzähligen Arbeitsanweisungen, die bereits in einer Fotosafari gezeigt wurden. Hin und wieder tauchte ein echter Loriot auf und Bilder des immer größer werdenden Verlagsteams erinnerten an die letzten, wechselvollen Jahrzehnte. Hier fühlte ich mich wohl. Ein Ort mit Geschichte und Tradition, mit Atmosphäre und Charme. An jeder Ecke wurde ich erinnert, wo ich mich befinde: In einem Verlagshaus für Literatur.

Ich bin vor über zehn Jahren durch einen Klassiker zu meinem ersten Diogenes Buch gekommen: Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker. Seit dem bin ich nicht nur ein großer Fan von Dürrenmatt, sondern eben auch vom Verlag selbst. Meine Lieblingsautoren sind Meir Shalev, Viktorija Tokarjewa, Erich Hackl, Friedrich Dürrenmatt und Leon de Winter. Fred Uhlman und Andrej Kurkow warten noch auf ihre Entdeckung. An Dürrenmatt hatte Daniel Keel einen besonderen Narren gefressen. Der Schweizer Schriftsteller bezeichnete seinen Verleger sogar als komplett Verrückten in Bezug auf sich selbst und konnte diese Faszination gar nicht begreifen.

Origineller Dialog gesucht

Gegen Ende kam es dann zu einer ganz spontanen Idee und so bestieg ich mit Loriot die Diogenes Badewanne und suche jetzt noch nach passenden Sprechblasen. Wer was Originelles zu bieten hat, legt uns beiden bitte ein paar Worte in den Mund und hinterlässt diese im Kommentarfeld. Das Talent mit den meisten Lachern meinerseits hat gewonnen. Es lockt ein Diogenes Überraschungspaket!

Diogenes Badewanne

Herzlichen Dank für die Einblicke und die Zeit in Zürich und natürlich auch für das interessante Interview zum Diogenes Blog. Für diesen Beitrag und als Vorbereitung auf den Besuch habe ich immer wieder Anregungen aus der illustrierten Verlagschronik 1952-2002 erhalten.

Diogenes - Eine illustrierte Verlagschronik

14 Kommentare

  1. Ein schöner Bericht. Viele hätten sicherlich mit dir tauschen wollen … :) Der Diogenes Verlag gehört schon lange zu meinen Favoriten, wenn auch nicht immer bei den aktuellen Programmen etwas dabei ist – der Backkatalog bietet dafür unzählige Alternativen.

    Vor Jahren habe ich mal eine interessante Reportage über Diogenes gesehen. Über die Anfänge und die Expansion. Auf den Titel komme ich leider nicht mehr, war aber ziemlich beeindruckend.

    Und Andrej Kurkow musst du unbedingt lesen. Sofort! :) „Picknick auf dem Eis“ zählt nach wie vor zu meinen absoluten Lieblingsbüchern! #lassDichanstecken!

    Gefällt 1 Person

    1. Lieber Muromez,

      ja, es gab einige, die sicher getauscht hätten. Der Besuch kam aber auch durch Eigeninitiative zustande. Von daher: Anfragen kostet nichts ;).
      Der Kurkow. Mal sehen wann. Jetzt kommen ja wieder die neuen Herbstbücher! Aber anstecken lass ich mich auf jeden Fall.

      Herzliche Grüße
      Vera

      Gefällt 1 Person

  2. Vera: „Warum sitzen wir nochmal in dieser Wanne?“

    Loriot: „Ich lasse mir von einem kaputten Fernseher nicht vorschreiben, wann ich ins Bett zu gehen habe!“

    Vera: „Und nun möchten Sie hier schlafen?“

    Loriot: „Ich schlafe nicht, ich harre aus …“

    Vera: „Sie sehen doch gar nichts mit dem Hut im Gesicht!“

    Loriot: „Ich muss auch nichts sehen, wenn ich ausharre.“

    Vera: „Fein! Möchten Sie, dass ich Sie alleine lasse?“

    Loriot: „Ein Leben ohne Möpse ist möglich, aber sinnlos.“

    Vera: „Gut, von mir aus, dann bleibe ich … und nun?“

    Loriot: „Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur saugen kann!“

    Vera: *grinst in die Kamera*

    Like

  3. Liebe Vera! Toller Beitrag, tolles Photo (leider fällt mir nichts ein)! Nur: wir lieben Kurkow und er lohnt die Entdeckung sehr! Liebe Grüße aus Nordost! l.

    Like

    1. l !!

      nur allein von dir zu hören, freut mich! Da brauch ich gar keine ausschweifenden Ideen. Und du bist dir hoffentlich im Klaren darüber, dass Kurkow auf eine Empfehlung von dir zurückzuführen ist – damals 2012 in Leipzig zur LBM.

      Like

  4. Loriot „Können Sie mir sagen warum Sie in meiner Badewanne sitzen?“
    Vera: „Herr von Bülow, ich bewundere Ihren Verlag!“
    Loriot: „Ach! Na gut. Die Ente bleibt aber draußen!“

    Like

  5. … ein ganz ganz großartiger Text, der ein wenig von dem Geheimnis Preis gibt, wie man mit Engagement und Leidenschaft einen richtig guten Verlag gründen und über viele Jahrzehnte erhalten kann.
    Du hast mich sehr begeistert, liebe Vera, mich „amüsiert und auf geheimnisvolle Weise inspiriert“. Ich werde jetzt sofort beginnen, „Carol“ von Patricia Highsmith zu lesen. Das nehme ich mir seit Wochen vor –
    P.S. Auch wenn das Foto außergewöhnlich lustig ist … zu Loriot fällt mir leider nix ein.

    Like

    1. … mir reicht es, wenn ich dich zum Lesen angeregt habe. Was will man mehr.
      Loriot ist einfach klasse und so musste er noch mit und ein gemeinsames Foto ist ja wirklich auch etwas Besonderes.

      Gefällt 1 Person

Und was sagst du dazu ...?