Übersetzerin Kirsten Brandt im Gespräch: Mercè Rodoreda lässt einen ein wenig trauriger, ein wenig glücklicher und sehr viel weiser zurück

Mercè Rodoredas bekanntestes Werk  „Auf der Plaça del Diamant“ ist seit 1962 auf Deutsch zugänglich. Hingegen unentdeckt blieb lange Zeit ein kleiner literarischer Schatz der katalanischen Schriftstellerin. Autor und Journalist Roger Willemsen hob diesen 2014 und gab den Roman Der Garten über dem Meer“ beim Mare Verlag heraus. Das Buch erscheint jetzt in neuem Gewand im dritten Quartal der Büchergilde Gutenberg. Der Übersetzerin Kirstin Brandt ist es zu verdanken, dass auch wir Deutschen in den Genuss kommen. Grund genug einmal bei ihr nachzufragen.

Mercè Rodoreda: Der Garten über dem Meer
Mercè Rodoreda: Der Garten über dem Meer

Mercè Rodoreda war eine wichtige Stimme der katalanischen Literatur in der Nachkriegszeit. Was macht ihr schriftstellerisches Werk so besonders?

Kirsten Brandt: Mercè Rodoreda hat in ihren Werken die wichtigsten Themen ihrer Zeit behandelt, vor allem als eine der ersten und eine von wenigen Autorinnen den spanischen Bürgerkrieg aus weiblicher Sicht. Allein das verschafft ihr eine Ausnahmestellung innerhalb der katalanischen und europäischen Literatur. Darüber hinaus aber zeichnet sie sich durch ihren eigenwilligen, faszinierenden Stil aus. Häufig sind ihre Protagonisten einfache Leute wie Colometa in Auf der Plaça del Diamant oder der namenlose Gärtner im Garten über dem Meer. Sie beobachten das Geschehen passiv, gleichsam vom Rande aus, ihre Ausdrucksweise ist schlicht. Doch in ihren Beobachtungen und Gedanken offenbart sich eine tiefe, manchmal resignierte Lebensweisheit, die die Lektüre zu einem melancholischen Vergnügen macht. Rodoreda ist die Meisterin der leisen Töne, des nur Angedeuteten, weshalb ihre Bücher oft mit impressionistischen Gemälden verglichen werden.

Wie war Ihr ganz persönlicher Zugang zum Roman?

Zunächst einmal als Leserin: Der Mare Verlag hatte mich beauftragt, ein Lesegutachten zum Garten über dem Meer zu erstellen, was ja immer heißt, dass man sich überlegen muss, ob und warum ein Buch auch für das deutsche Lesepublikum so interessant sein könnte, dass sich eine Übersetzung lohnt. Dabei habe ich festgestellt, dass dieser kleine, auch in Katalonien eher unbekannte Roman die gleichen Vorzüge aufweist wie Rodoredas bekanntestes Werk Auf der Plaça del Diamant: In der kleinen Welt des Erzählers, dem Garten über dem Meer, spiegelt sich die ganze Welt, die Dramen der Figuren sind zeitlos, sprich, das Buch hatte alles, was einen Klassiker auszeichnet. Also habe ich es Mare zur Veröffentlichung empfohlen.

Dann nähere ich mich jedem Buch natürlich immer auch als Übersetzerin. Unweigerlich frage ich mich: Wie würdest du das auf Deutsch sagen? (Was manchmal ziemlich lästig sein kann, wenn man ein Buch nur zum Vergnügen liest.) Beim Garten über dem Meer wusste ich von Anfang an, wie der Gärtner meiner Meinung nach klingen musste, ich hörte ihm beim Übersetzen sozusagen nur zu und schrieb mit. Ob es mir gelungen ist, seine Stimme angemessen wiederzugeben, müssen die Leser entscheiden.

Viele ihrer Texte wurden bereits ins Deutsche übersetzt. Warum musste gerade dieser in der Presse sehr positiv besprochene Roman so lange auf seine deutsche Entsprechung warten?

Das ist eine ausgezeichnete Frage, die Ihnen nur die Verleger beantworten können. Ich weiß nur, dass ich einmal Angelika Maas, die ausgezeichnete Übersetzerin aller anderen Romane von Rodoreda, um Rat fragte, und sie mir schrieb: „Schön, dass endlich ein Verlag den Mut hat, dieses Buch zu veröffentlichen. Ich habe mich jahrelang vergeblich bemüht, einen deutschen Verlag dafür zu finden.“ Die großen Verlage setzen mehr und mehr auf kommerzielle Ware aber zum Glück gibt es in Deutschland noch kleine, unabhängige und mutige Verleger wie Mare und die Büchergilde.

Können Sie in wenigen Sätzen erklären, warum man „Der Garten über dem Meer“ lesen sollte?

In einem Satz: Weil es eines dieser bezaubernden, zeitlosen Bücher ist, die einen ein wenig trauriger, ein wenig glücklicher und sehr viel weiser zurücklassen. Das Interview wurde im Büchergilde Magazin und auf der Website veröffentlicht.

Das Interview im Büchergilde Magazin
Das Interview im Büchergilde Magazin

9 Kommentare

  1. Danke für diesen Buch-Tipp! Das klingt ganz nach meinem Geschmack :) Die Autorin Mercè Rodoreda war mir bisher völlig unbekannt, umso neugieriger bin ich nun nach diesem interessanten Interview auf ihre Romane!
    Liebe Grüße
    Stefanie

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    1. Liebe Stefanie,

      dieses Aha-Erlebnis hatte ich auch vor einiger Zeit und ich freu mich, dass es anderen ähnlich ergeht. Eine anregende Lektüre.

      Liebe Grüße
      Die Bücherliebhaberin

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  2. Was für ein schönes Interview! Auch gefällt mir deine Idee, der Übersetzerin Kirsten Brandt eine Stimme zu geben.
    Ich habe nun große Lust, „Der Garten über dem Meer“ zu lesen. Den kleinen feinen Roman „Auf der Placa del Diamant“ kenne ich bereits und schätze ihn sehr.
    Schöne Grüße, masuko

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    1. Liebe masuko,

      da bist du mir um einiges voraus. Ich habe noch gar nichts von Mercè Rodoreda gelesen, daher war dieses Interview gleich in zweifacher Hinsicht ein Gewinn. Ich starte also mit dem Unbekannten, um mich später ihrem Klassiker zu widmen. Kirsten Brandt hat wirklich sehr schöne Worte für ihr Werk gefunden.

      beste Grüße

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