LongListLesen 2014|Matthias Nawrat: Unternehme​r

Und weiter geht es mit LongListLesen 2014 auf glasperlenspiel13. Matthias Nawrat konnte mit seinem literarischen Werk schon einige Preise auf sein Konto verbuchen. Der gebürtige Pole überzeugte die Jurys mit seinem erzählerischen Talent. Nun landete er mit seinem zweiten Roman »Unternehmer« auf der LongList des Deutschen Buchpreises 2014. An den Text haben sich ein Lesekreis aus Leipzig und Ruth von Ruth liest gewagt.

Matthias Nawrat: Unternehmer
Matthias Nawrat: Unternehmer

Ein ausführlicher wie interessanter Gastbeitrag von Helga aus Leipzig (Leipziger Lesekreis)

Wir sind nicht auf Mc Carthney´s Straße oder Johnsons Fiscadora, sondern hierzulande, Schwarzwald, etwas zukünftig, aber noch vor den ganz großen Katastrophen, konfrontiert mit zumal im östlichen Deutschland vertrauten Problemen einer radikal veränderten Arbeits- und Lebenswelt. Nachdem man sich ein wenig eingelesen hat, packt einen das Buch, sowohl seines Inhalts als seiner verknappten und zugleich ungewohnt poetischen Sprache wegen. Ich erinnere mich an Marieluise Fleißer, die auch mit wenigen Worten eindrückliche Bilder bauen konnte.

Um einige Beispiele für Nawrats Bilder zu nennen:

rattrige Magnetspulenherzen /14/, mit Vogelgesängen beschenktes Gelände /15/. Schmuck aus Glas – für nicht zur Zeit abgefallene Blätter /131/, türkise in den See auszuleerende Fässer /33/. das Weltraum- Kraftwerk /83ff, 93 ff. 93 ff./; die Tapeten- Teppichstadt der Arbeitslosen /99 ff/.

Die Geschichte geht, obgleich seltsam distanziert ausgebreitet, zunehmend zu Herzen und man fragt sich mit den Helden: wie leben? Die Helden, die Unternehmer, sind: der arbeitslos gewordene Vater, der kleine Sohn Berti, der als Opfer des Unternehmertums einen Arm verlor und im weiteren die Beine verlieren wird, sowie die erst 13-, am Ende 14- jährige Tochter Lipa. Unsere Unternehmer haben verblüffenderweise die hehren Postulate kapitalistischen Wirtschaftens und protestantischer Arbeitsethik voll verinnerlicht. Sie gehen ihnen flott über die Lippen.

“Das Unternehmen ist eine Teamarbeit…, fällt nur einer aus, ist es vorbei /S.16/, alles hängt vom Erfolg unserer täglichen Arbeit ab, …haben wir selbst in der Hand,…Erfolgskreislauf, den wir mit unserer Arbeit in Bewegung setzen” /77/

Die Mitunternehmer bemühen sie, je mehr der Vater verstummt. Unternehmenszweck ist vordergründig das Recyceln. Die wieder zu verwertenden Rohstoffe wie Kupfer, Tantal, Wolfram gewinnen unsere Unternehmer, indem sie verlassene Fabriken und entvölkerte Dörfer ausschlachten, das Material auf abenteuerliche Weise in einer Art Rohstoffküche im häuslichen Keller aufbereiten. Ihre Produkte liefern sie im Paradies ab, wo sie das Klimpergeld als Gegenleistung erhalten und wo unter anderem die Ruine einer abgestürzten “Sojus 19” nebst anderen Hinterlassenschaften einer wegwerffreudigen Gesellschaft zu besichtigen sind. Aus Resten werden Raumschiffe. Berti, der sowieso alles sagen und fragen darf, bringt den unternehmerischen Zweck aber wohl auf den eigentlichen Punkt: Bald wird das Klimpergeld aus dem Unternehmen ausreichen, um aus dem engen Schwarzwalddasein nach Neuseeland aufzubrechen und eine Farm mit Schafen zu bewirtschaften.

Im Verlaufe des Geschehens verlieren die hehren Unternehmenspostulate ihren Zauber, dienen allenfalls der Selbstaufmunterung. Das Unternehmen scheitert. Neuseeland bleibt Traum. Der Vater kapituliert, zieht sich in müde “Traurigkeit” zurück. Klein-Berti kann gut mit der vielen Freizeit leben, sich seines Hobbys erfreuen. Die Mutter sucht vergeblich, ohne Klimpergeld zu Heizmaterial und Lebensmitteln zu kommen, was die umtriebige Lipa umso mehr veranlasst, nach einem gangbaren Ausweg zu suchen. Dabei lag Lipa, dank ihres Freundes langer Nasen- Timo ein persönlicher Ausweg schon greifbar nahe. Der arbeitslose Timo hat durch “das Buch”, das er aus einem der leeren Dörfer mitbrachte, davon erfahren, dass es die Welt, wie wir sie kannten nicht mehr gibt, vielmehr gebe es eine einzige große in drei Kreise aufgeteilte Stadt. Nur der bewachte innere Kreis werde von Menschen bevölkert, die Geld verdienten, Geld, das man nicht sehen kann. Der äußere Kreis sei der der Sterbenden, der mittlere der der Arbeitslosen. Dann gebe es das Gebiet des verlassenen Landes mit den unkalkulierbaren Gebiet – Veränderten, die keine Menschen mehr seien. Doch jenseits davon erstreckten sich Wälder mit vielen Tieren, riesige grüne Ebenen und Seen mit vielen Fischen und Ozeane. Dort sei es immer warm, man müsse nicht arbeiten, könne von Wald, See, Ozean leben. Lipa: Warum leben dann nicht alle dort? Timo: Die Menschen sind noch zu sehr an die Arbeit gewöhnt, können sich nichts anderes vorstellen.

In dieses hinter den Bergen der Vogesen gelegene Paradies wollten Lipa und Timo aufbrechen. Der Vater, nach dem ihm unbekannten “Buch” befragt, vermutet, dass es hinter den Vogesen genauso wie im Schwarzwald sei … Denn wir erfahren nicht – darin gleichen sich die “großen Bücher”- wie Leben und Gesellschaft im Paradies funktionieren, ob es da schon kommunistisch zugeht oder wie auch immer, Klimpergeld keine Rolle mehr spielt.

Nawrat umkreist das Problem Arbeit. Wie sieht es damit aus? Arbeit versteht sich, wie er Lipa in den Mund legt, als Tätigkeit, die mit dem Moment des Nichtwollens verbunden ist. Tätigwerden ohne dieses Moment ist danach “echte Arbeit“ – wie die im “Unternehmen”, wohl weil sie von den “Unternehmern” -mehr oder weniger- gewollt war. Aus dieser Sicht erscheint es nicht einmal mehr denunziatorisch, wenn Lipa fragt: Wie kann man überhaupt nur so ein Arbeitsloser sein. “Echte Arbeit” findet sich doch für jedermann- man muss eben nur wollen.

Angesichts des gescheiterten Familienunternehmens lässt Lipa ihren Freund allein ziehen., während sie bleibt und nach Möglichkeiten sucht, wie die Familie leben/ überleben und zu dem dafür unerlässlichen Klimpergeld kommen kann. Nur Arbeitslose -wie Timo- meint sie, finden, alles sei angeblich einfach, man müsse einfach losgehen.

Was tun? Das bleibt die große (Tschernyschewski- Lenin-) Frage. Lehrer Gombrovicz wie die Frau an der Tankstelle, die zum Lernen auffordern, vermögen unsere Jungunternehmer nicht zu überzeugen. Zu verfestigt ist die Erfahrung, in der Schule lernt man nichts, was fürs Leben taugt, die ist nur was für Arbeitslose.

Auch “Zoltar”, die geheimnisvolle Wahrsagerfigur im “Paradies” verweigert Lipa in letzter Instanz eine Antwort. Lipa neigt erstmal zum Weitermachen, ihr fällt nichts besseres ein. Das Schlussbild: Lipa und Biko üben Mercedesfahren- die Stufe zum Erwachsensein für die Wege in die Nebentäler des Schwarzwaldes zum Recyceln. Man darf den Schwarzwald doch nicht den Köberleins, den Konkurrenten, die alle Fragen mit Dynamit lösen, überlassen und – man braucht Klimpergeld. Anscheinend hängt alles am Klimpergeld.

Der Autor, der mit leichter Hand ein existenzielles Problem nach dem anderen vorführt, dass einem schwindelt, gibt nicht vor, es besser als seine Geschöpfe zu wissen. Er begnügt sich, seine Leserschaft aufzufordern, selbst nachzudenken, welche Art zu leben erstrebenswert ist und was man dafür zu unternehmen bereit ist. Dieser Anstoß hakt sich schon mit Nawrats Bildern im Kopf fest.

Ruth von Ruth liest sieht in der Lektüre ein genial hässliches Bild unserer Leistungsgesellschaft und resümierte: Matthias Nawrat ist eine großartige Parodie auf unsere perverse Leistungsgesellschaft gelungen. Die stellenweise schmerzliche Lektüre lohnt sich vor allem für uns Selbstständige, die gerne das selbst und ständig im Munde führen.

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Matthias Nawrat: Unternehme​r
Rowohlt Verlag, Berlin 2014

1 Kommentar

  1. Liebe Helga,

    du hast einen sehr ausführlichen Beitrag zum Buch „Unternehmer“ geschrieben – Respekt. Ich gebe Dir Recht, an sprachlichen Bildern, Metaphern gar, mangelt es dem Buch nicht. Mich selbst hat eher die psychische Situation der „Unternehmerfamilie“ gefesselt und betroffen gemacht. Verzweiflung pur – nur nicht zu dem Heer der Arbeitslosen gehören, die gehen sogar in die Schule – nur das nicht. Wer Arbeit sucht, findet sie auch – am besten indem er etwas unternimmt, also Unternehmer wird. Wie oft schon habe ich in Bewerber und Coaching Seminaren solche Versatzstücke gehört, auch dass man sich so gut wie möglich verkaufen müsse usw. Nawrath erzählt seine Geschichte vom Ende her – die kleine Unternehmerfamilie hat aus Sicht der „perversen Leistungsgesellschaft“ – sehr gut Ruth von Ruth liest – alles richtig gemacht – hat sich in makabrer Weise selbst motiviert und selbst zerstört. Ist es ein Wunder bei der medialen und gesetzgebenden Kampagne gegen Arbeitslose, ihrer Diskreditierung als parasitär lebende, in der Regel „bildungsferne“ Individuen? Ich schreibe mich zornig. Nawrath hat ein sehr wichtiges, ja sogar zukunftsweisendes Thema aufgegriffen, bewältigt eher nicht. Aber das muss Literatur sicher nicht leisten. Die Fragen wurden gestellt.

    Das schreibt Bruno aus dem Leipziger Lesekreis.

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