Die Büchergilde & die Illustration – Ein Galeriebesuch bei Bernhard Jäger

 
Bernhard Jäger bei der Arbeit für die Bibliothek von Babel

„Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt“

Luis Borges
 

Im Rahmen meines Specials zum 90jährigen Jubiläum der Büchergilde Gutenberg wollte ich unbedingt auch einen Illustrator zu Wort kommen lassen. Lebt doch die Buchgemeinschaft vor allem auch von den illustrierten Büchern.  So besuchte ich den Künstler Bernhard Jäger in seinem Frankfurter Atelier und bei mehren Tassen Tee sprachen wir über Kunst, Fantastische Literatur über die Büchergilde, Hesse, Kinderbücher, Computer und Borges.

Eines der gewagtesten Herstellungsabenteuer der Büchergilde war wohl die Veröffentlichung der Bibliothek von Babel, die Luis Borges gemeinsam mit dem italienischen Verleger Franco Maria Ricci 1974 veröffentlichte. Mit dieser Bibliothek hat sich der argentinische Schriftsteller zu Lebzeiten sein eigenes kleines Stück Paradies geschaffen und 30 Bände der Fantastischen Literatur zusammengestellt. Die Büchergilde beauftragte Bernhard Jäger, selbst großer Liebhaber jener Gattung, die 30 Buchumschläge für die einzelnen Ausgaben zu illustrieren. Wie sich herausstellte ein Mammutprojekt für den Künstler.

Bernhard Jäger ©glasperlenspiel13
Bernhard Jägers Domizil in Frankfurt ©glasperlenspiel13

Angefangen hat Jäger als Zeichner und Grafiker, später arbeitete er auch an Aquarellen und Ölbilder. Mit zunehmenden Alter merkte er, dass man eigentlich alles machen kann und er ist heute froh, dass er keinen Schwerpunkt mehr hat. Neugierig auf jede neue Technik, probiert er vieles aus. Alles Neue macht ihm Spass und bei jeder künstlerischen Arbeit versucht er Wiederholungen und Stagnation zu vermeiden.

Über Freunde und Kollegen erhielt er in unregelmäßigen Abständen immer wieder Anfragen für grafische Arbeiten. In den 60er und 70er Jahren hat er in diesem Bereich relativ viel im Auftrag der Büchergilde gearbeitet und auch die Münchhausen Ausgabe mit zwei Typografinnen entwickelt. Die Schwierigkeit bestand darin, dass es wohl schon über hundert Münchhausen-Ausgaben gab. Da stellte sich die Frage nach der Einzigartigkeit der eigenen Arbeit. So wurde beispielsweise der Ritt auf der Kugel auf ganz unterschiedliche Art und Weise dargestellt. Wie kann man die Geschichte und einzelne Szenen aber anders und neu umsetzen? Jäger versucht immer mit seinen Grafiken eine Geschichte zu erzählen, die parallel zum Text verläuft, filtert Gedanken und pickt genau einen ganz bestimmten Ansatz für sein Bild heraus. Daraus entsteht dann die ganz individuelle Sicht auf das Gelesene.

Das Atelier von Bernhard Jäger
Das Atelier von Bernhard Jäger ©glasperlenspiel13

Die Initiative bezüglich der Bibliothek von Babel kam von der damaligen Herstellungsleiterin, die seine Arbeiten noch von der Münchhausen-Ausgabe kannte. Bei der Annahme des Projektes hatte er nur die Arbeit an den Aquarellen im Blick aber nicht die Lesezeit von immerhin 30 (!) Bänden.

Biblio v Babel1

Es galt 30 Bände Fantastischer Literatur aus drei Jahrhunderten und fünf Kontinenten zu verinnerlichen und grafisch umzusetzen. Die Erzählungen sind der gesamten Weltliteratur entnommen. So finden sich neben „Tausendundeine Nacht“ auch argentinische, russische und asiatische Erzählungen, vielfach handelt es sich um Wiederentdeckungen. Auf vielseitige Weise lassen die Texte die äußere Wirklichkeit hinter sich und entführen den Leser in eine neue, ganz eigene Welt. Jedem der 30 Bände der Bibliothek von Babel hat Jorge Luis Borges ein Vorwort gewidmet. Sie geben dem LeBiblio v Babel2ser einen Einblick in die literarische Welt des wohl berühmtesten Bibliothekars des 20. Jahrhunderts.

Bernhard Jäger entschied sich für Aquarelle in Grundfarben, da diese eine gewisse Leuchtkraft erzeugen. Für jeden Band erstellte er aus Lizenzgründen drei Motive und hatte ebenso wesentliches Mitspracherecht bei der Typografie. Schicksal oder Zufall: Jäger war schon als junger Mann ein großer Verehrer von Luis Borges und kannte bereits viele Texte der Bibliothek von Babel. Vor jedem Bild musste zunächst jedoch der entsprechende Band gelesen werden. Für den Künstler, ein Schnellleser, eigentlich kein Problem. In diesem speziellen Fall war dies aber nicht möglich. Teilweise musste er die Texte Satz für Satz lesen und hat sich durch einige regelrecht gequält. Er musste ja genau den Abschnitt finden, wo er mit seiner künstlerischen Umsetzung einhaken kann. Dafür las er einige Bände sogar zwei Mal. Dazu gehörte viel Disziplin und diszipliniertes Lesen war für ihn eine große Herausforderung, die er bei Annahme des Auftrags nicht mit einberechnet hatte. Die Büchergilde hätte die Sammlung  am liebsten so schnell wie möglich herausgebracht aber unter Druck konnte Jäger noch nie arbeiten und so dauerte am Ende das Projekt ein Jahr.

Nach Beendigung wurden seine 30 Bilder während der Frankfurter Buchmesse in der Universitätsbibliothek ausgestellt. In diesem Jahr war auch die Frau von Borges auf der Messe und die argentinische Botschaft kaufte eines der Originale, um es der Witwe zu schenken. Momentan hängt es im Borges Museum in Buenos Aires, Argentinien.

Jäger hat sich oft gefragt, warum Borges gerade diese 30 Bände ausgesucht hat. Persönlich hätte er sich nicht alle zugelegt, einige seien für ihn einfach nicht interessant genug. Fügt aber hinzu, dass es durchaus möglich sei, dass man Jahre später einen ganz anderen Ansatz hat und uninteressant geglaubte Bücher wieder einen anderen Stellenwert erhalten.

Bernhard Jäger: „Ich bin sehr oft umgezogen und habe mich im Zuge dessen auch immer wieder von vielen Büchern verabschiedet bzw. erleichtert. Ich habe zum Beispiel den ganzen Hermann Hesse verschenkt.“

Bücherliebhaberin (entsetzt): „Nein!”

Bernhard Jäger: „Hermann Hesse kann man doch nicht mehr lesen!“

Bücherliebhaberin: „Mein Blog trägt den Namen einer seiner Romane“

Bernhard Jäger (lacht herzlich): „Ich weiß. Aber nehmen wir ein anderes Beispiel: Gerhard Hauptmann. Ich habe gedacht, den brauch ich garantiert nicht mehr und zehn Jahre später sehe ich ein Theaterstück von ihm und will es nach der Vorstellung nachlesen und muss feststellen, dass ich alle seine Bücher verschenkt habe. Bücher sind einerseits Ballast anderseits aber auch was den Menschen zum Teil ausmacht. Es ist spannend zu sehen, was in 30 Jahren passieren kann, was sich verändert.“

Was ihn an der fantastischen Literatur so reizt? Der intellektuelle Anspruch, die Verdichtung von Literatur. Borges, den er bewundert, war ja ein Büchernarr, ein Sammler von allem, gab unzählige Anthologien heraus und war leidenschaftlicher Vielleser. Die Büchergilde hat er auf seinen unzähligen Besuchen in den Antiquaren kennengelernt und vor allem Bücher noch aus der Vorkriegszeit gelesen. Ein großer Nachteil war bis vor kurzer Zeit, dass man nur als Mitglied die Bücher kaufen konnte. Jetzt hat sich das ja zum Glück geändert.

Seine Originalaquarelle wurden zum Teil im Artclub der Büchergilde verkauft. In seinen privaten Räumen hängen nur Arbeiten von Freunden und Kollegen, die er schätzt. Schon deshalb ist er mir so symphatisch – ein Künstler ohne Pathos, ohne Allüren. Ein Mann, der für die Kunst lebt und sich immer wieder neu inspirieren lässt. Erst vor kurzem ist ein umfangreicher Bildband zu seinem kompletten Œuvre aus 50 Jahren Künstlerdasein erschienen.

Momentan widmet er sich der Katalogisierung und Aktualisierung seiner Grafikarbeiten. Er sei am Ende seines Lebens angekommen und will dafür sorgen, dass die Dinge in die richtigen Hände kommen. Ein Teil seiner Arbeiten soll unter anderem das Museum Darmstadt erhalten.

8 Kommentare

  1. Ich finde seine Plastiken und Lithographien inspirierend. Als Genosse der Büchergilde Gutenberg bin ich froh, das er Münchhausen illustriert und „Babel“ mit 30 Aquarellen verziert hat. Aus dem Nachlass von Dietmar Schönherr konnte ich die Farblithographie „Eierkopf“ ersteigern. Sie passt zu mir und meinem Kopf.

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    1. Lieber Zeilentiger,

      du hast natürlich Recht, ich hätte den Dialogen noch mehr Raum geben können. Aber ich mag eben keine sehr langen Beiträge, versuch es immer auch übersichtlich und knapp zu halten, sonst erschlägt es mich selbst.
      Themen wie die aktuellen Kinderbuchillustrationen und die neusten Techniken in der Kunst waren für mich sehr interessant und man könnte glatt einen eigenen Beitrag dazu schreiben. Wollte letztendlich aber beim eigentlichen Thema – der Büchergilde bleiben.

      Die Bücherliebhaberin grüßt :)

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    1. Liebe Petra, das ist ja das schöne und faszinierende an der Buchwelt. Sie ist vielseitiger und bunter als man glaubt. Ob nun Illustration, Herstellung, Literaturgeschichte, Ausstellungen u.v.m. Man könnte sich glatt nur noch damit beschäftigen! Auf deiner Seite entdeckt man ja auch immer wieder tolle Reihen und Themen rund um unser Lieblingsthema.

      Liebe Grüße von der Bücherliebhaberin

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