Nona Fernández „Die Toten im trüben Wasser des Mapocho“

Der Roman von Nona Fernández kostet Kraft und Konzentration denn vom Leser wird so einiges abverlangt. Nicht nur die häufigen Perspektivänderungen, die eingefügten Rückblicke und die Wechsel zwischen Fiktion und Realität fordern heraus, nein auch die Sprache selbst, getragen von Schmerz und Trauer ist teilweise anstrengend. Die ersten Sätze sind dafür beispielhaft: „Verflucht kam ich zur Welt. Von Mutters Möse bis zu der Kiste, in der ich jetzt liege, war mein Leben verflucht.“

Im eigentlichen Mittelpunkt steht der Fluss Mapocho, der durch die chilenische Hauptstadt Santiago de Chile fließt und verbindendes Element aller Puzzleteile des Romans ist. Er ist der rote Faden des Textes, der Opfer und Verlierer der chilenischen Geschichte aufnimmt und so zum Sammelbecken aller Leidwesen wird: von den Anfängen (mit Pedro de Valdivia) bis zur jüngeren Geschichte des Landes, das vor allem noch unter den Nachwirkungen der Diktatur Pinochets zu leiden hat. Rucia und Indigo ein Geschwisterpaar, das einer verbotenen Liebe nachgeht aber diese nie ausleben konnte, musste genau diese Tragödie am eigenen Leib erfahren und erst viele Jahre später tragen sie getrennt voneinander Stück für Stück die schmerzvolle Wahrheit ihrer Familie zusammen. Fernández betreibt eine durchgehende Dekonstruktion des menschlichen Körpers, der Geschichte und Geschichtsschreibung und dem Heiligtum Lateinamerikas: der Familie. Die Frage nach dem Tod steht immer wieder im Raum und der Feststellung von Faustus, einem greisen Historiker im Roman „Der Tod ist eine Lüge“ muss sich auch Rucia bei ihrer Suche nach der Wahrheit und dem geliebten Bruder stellen.

Wie so oft bei dem Thema der Vergangenheitsbewältigung in Bezug auf Diktaturen steht die Problematik Lüge versus Wahrheit auch bei Nona Fernández drohend, einschüchternd aber nie wirklich aufklärend im Vorder- UND Hintergrund des Erzählten. Eine Geschichte, die verwirrt und zerstörerisch auf ihre Figuren wirkt, die aber auch zum Nachdenken anregt, die anklagt und gelesen werden will.

Ich danke dem Septime Verlag aus Wien für die Zusendung des Romans und freue mich so eine ganz besondere Stimme Chiles kennengelernt zu haben.

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Nona Fernández „Die Toten im trüben Wasser des Mapocho“
Original „Mapocho
Septime Verlag, Wien 2013

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3 Kommentare

  1. Liebe caterina,

    ja da gebe ich Dir recht: es ist aufreibend aber auch bereichernd. Nach dem ersten Satz habe ich überlegt: Willst du das Buch weiterlesen? Auch mehrmals während der Lektüre habe ich mir die Frage gestellt. Sehr langsam habe ich in den Roman hineingefunden, bin dann aber einen Punkt gekommen, an dem ich mehr über die Hintergründe wissen wollte.

    Bzgl. Bulgakow: Von der Aufführung habe ich auch erfahren aber zu spät :( Das hätte ich mir sehr gern angeschaut. Das Buch habe ich vor einigen Jahren gelesen und nun lesen wir es im Lesekreis. Es steht schon auf dem Tisch, muss aber noch angefangen werden. Momentan gibt es aber noch so viele andere spannende Titel ;)

    Viele liebe Grüße
    Die Bücherliebhaberin

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  2. Klingt nach einer aufreibenden, aber auch bereichernden Lektüre, liebe Bücherliebhaberin. Schon der erste Satz des Romans hat eine ziemliche Wucht, er ist verstörend und geht unter die Haut – wie offenbar der ganze Roman. Merci für die Empfehlung!

    PS: Ich sehe, du liest Bulgakow. Ein schöner Zufall, ich habe ihn auch gerade erst gelesen und schiebe seit Wochen die Rezension vor mir hier. Übrigens wurde der Roman auch am Schauspiel Frankfurt inszeniert, ich habe es zum Glück noch rechtzeitig mitbekommen – eine (für mich als Laie) erstklassige Aufführung! Dank ihr habe ich erst richtig ins Buch hineingefunden.

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